Über den Rahmen hinaus

Im Haupthaus der Komischen Oper Berlin haben die Epochen ihre Zeichen hinterlassen. Außen grüßt in der Behrenstraße die klare nüchterne Sprache der Ostmoderne, das Foyer versucht historistisch die Spannung im Übergang zum neobarocken Opernsaal zu glätten. Und auch das neue Jahrtausend hat seine Spuren in der Innenarchitektur hinterlassen. Jetzt verschwinden die architektonischen Zeitschichten hinter Bauzaun und unter Bauplane. Ob diese Stilbrüche der Jahrhunderte und die sich daraus ergebenden Konflikte nach der Sanierung wieder auftauchen, ist offen. Doch auch wenn sie verschwinden, sie bleiben erhalten – in den Fotografien von Thomas Florschuetz. Seit Herbst 2023 lässt er sich intuitiv mit seiner Kamera durch das Opernhaus in Berlin Mitte treiben, hält fest, was seinen Blick fängt. Dennoch: Architekturfotografie ist es nicht, die er damit schafft. Im Interview erklärt der renommierte Fotograf, welchen Details er folgt und warum seine Fotos über den Rahmen des Sichtbaren hinausgehen.
Sie begleiten in den nächsten Jahren die Sanierung der Komische Oper Berlin in der Behrenstraße. Haben Sie das Haus noch mit Spielbetrieb erlebt?

Thomas Florschuetz: Ich war in den vergangenen Jahren immer wieder in der Komische Oper Berlin und habe eine Reihe von Barrie Koskys Inszenierungen gesehen. Seine Art Opern von Komponisten aus ganz unterschiedlichen Zeiten, zwischen Barock und 20. Jahrhundert zu inszenieren, hat mich beeindruckt. Und bei meinen Besuchen habe ich natürlich auch immer einen Blick auf die Architektur des Hauses, diese Synthese und Überlagerung unterschiedlicher Stile, werfen können. Sehr eindrucksvoll fand ich den über unseren Köpfen hängenden großen Lüster im Zuschauerraum, der ja, wie auch die gesamte Architektur im großen Saal, aus der Geburtsstunde des Hauses stammt. Von da aus entwickelt sich die architektonische Geschichte, die dann in den Brüchen der DDR-Nachkriegsmoderne und den Modifikationen der Nachwendezeit weitergeschrieben wird.

Diese Brüche machen das Haus für Sie als Fotograf interessant?

Thomas Florschuetz: Die Brüche sind wirklich spannend, besonders vor dem Hintergrund der dramatischen Zeiten, durch die dieses Haus gegangen ist. In ihrem Mit- und Gegeneinander habe ich sie immer als eine sehr anregende Kraft empfunden. Das Neorokoko der wilhelminischen Zeit, die (teilweise) Zerstörung im 2. Weltkrieg und die Veränderungen und Umbauten in den 1960er Jahren – all das kann man ganz gut im Foyer sehen, in dem aus all diesen Epochen Elemente aufeinandertreffen – sowohl Historismus und DDR-Moderne nach Entwürfen von Kunz Nierade als auch die Umbauten im Foyer durch Stephan Braunfels nach der Jahrtausendwende.
Treppe mit rotem Teppich bespannt, im Hintergrund Torbögen mit neobarockem Dekor, von oben Kugelleuchte
Der Kronleuchter wurde im Herbst 2023 von der Decke herabgelassen und für die Restaurierung in seine Einzelteile zerlegt. Den Prozess haben Sie fotografisch festgehalten. Was sehen Sie in dem Leuchter?

Thomas Florschuetz: Der Kronleuchter ist besonders imposant, ein über den Köpfen schwebender Solitär. Und er ist, in seiner skulpturalen Qualität, sozusagen der krönende Abschluss des Zuschauersaales. Und so wie der große Saal auch von den Kriegszerstörungen weitgehend verschont geblieben. Diesem Lüster auf Augenhöhe gegenüberzutreten, war somit ein ganz besonderes Erlebnis. Durch die Veränderung der Perspektive auf einen Gegenstand bin ich in der Lage ihn auch anders wahrzunehmen. Ich konnte ihn in seinen Einzelheiten begreifen, die vielen einzelnen Kristalle in Verbindung mit den Lichtelementen sehen. Mit dieser Blickveränderung, dieser Nahsicht auf die Details eines Gegenstandes (und seines Zustandes) in meinen Fotos zu arbeiten, ist vielleicht eine Art von Metapher für das Theater, für die Bühne, wie ich es oft in Theatern und Opernhäusern erlebt habe. Und das knüpft an die Arbeitsweise in früheren Werken an, bei denen die Fragmentierung des Blickes auf Gegenstände ein wesentliches Element war.

In früheren Arbeiten haben Sie den Palast der Republik und das ehemalige Ethnologischen Museum in Dahlem fotografiert. Wie reiht sich Ihre Arbeit am Haus der Komische Oper Berlin in der Behrenstraße ein?

Thomas Florschuetz: Diese drei Werkgruppen haben einen gemeinsamen Nenner, indem sie wichtige Gebäude der Berliner Geschichte und des Kulturlebens sind – in unterschiedlicher Funktion und unter sehr verschiedenen politischen Bedingungen. Aber während der Palast und auch das Ethnologische Museum in Dahlem zur Zeit meiner fotografischen Arbeit nicht mehr ihren ursprünglichen Zweck erfüllten, ist die Komische Oper Berlin nur temporär während der Sanierung und Erweiterung geschlossen. Den Palast der Republik habe ich nur noch als leere Hülle fotografiert und da bewusst den Blick von innen nach außen gewählt – einen Blick durch trübe Fenster auf das preußisch-antikisierende Ideal von Berlin. Beim Ethnologischen Museum war der Auslöser der Abbau der Sammlungen, es ging um den Umzug von der Peripherie zurück ins Zentrum. Und natürlich die Architektur der Nachkriegsmoderne, in diesem Fall das Gebäude von Fritz Bornemann. Das ist sicher auch ein interessanter Berührungspunkt mit der Komischen Oper Berlin, denn auch hier spielt die Moderne der 60er Jahre eine wichtige Rolle.
Treppe mit rotem Teppich bespannt, im Hintergrund Torbögen mit neobarockem Dekor, von oben Kugelleuchte
Die Komische Oper Berlin ist nur für ein paar Jahre geschlossen und wird wieder Operninszenierungen zeigen…

Thomas Florschuetz: Ja. Das Spannende am Anfang meiner Arbeit dort, also im Oktober 2023, war dass es viele Stellen, viele Details gibt, die später einfach nicht mehr da sein werden oder doch in völlig modifizierter Form. Die Spuren der Zeit, genauso wie Elemente von Architektur, von Design. Das, was sich im Laufe der Jahrzehnte als Patina eingeschrieben hat, sozusagen Schichten von Erinnerung, werden fortan nicht mehr sichtbar sein. Und es wird vollkommen Neues hinzukommen.

Wie gehen Sie diesen Brüchen auf die Spur? Nach welchen Kriterien suchen sie Ihre Motive aus?

Thomas Florschuetz: Ich gehe durchs Haus, ich lasse mich treiben. Der Blick auf Gegenstände, auf Situationen, mit der Kamera, entwickelt sich dann während meiner Arbeit, sehr intuitiv. Ich habe keine vorher konzipierten Bilder im Kopf. Es geht mir eher darum, sich auf das einzulassen, was mir begegnet und davon ausgehend versuche ich aus der Situation, aus dem Moment heraus für mich das Bild zu extrahieren. Und dieser Moment hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Das Licht ist wichtig, die Stimmung, aber auch der zweite Blick bei einem weiteren Besuch hat einen Einfluss. Das Foto, das aus diesem Prozess heraus entsteht, zeigt sowohl Spuren von dem, was gewesen ist als auch eine ästhetische Neuformulierung dessen, etwas, das über dieses Foto, den realen Kontext, hinausweist.

Welchen Spuren sind sie mit dieser Herangehensweise zuerst gefolgt?

Thomas Florschuetz: Mein erster Gang durch das schon geschlossene Haupthaus in der Behrenstraße hat mich direkt hinter die Bühne geführt. Dann ging es zur Garderobe am Haupteingang und über die Treppe in das Foyer. Eine eigentümliche Leere war im Haus, das ich ja bis dahin immer voller Menschen erlebt hatte. Und in diesem Moment beginnt man konzentrierter auf bestimmte Details zu schauen, auf das Kontrastierende zwischen den Stilepochen, auf Übergänge und auf Brüche, auch auf Paradoxes. Eine Vielzahl von Details, die Ausgangspunkt für meine Bilder sein können.
Treppe mit rotem Teppich bespannt, im Hintergrund Torbögen mit neobarockem Dekor, von oben Kugelleuchte
Welche Motive haben Sie besonders fasziniert?

Thomas Florschuetz: Man arbeitet sich da irgendwie rein, es kommt eins zum anderen. Ich war einige Male in zwei Monaten da und das war jedes Mal ergiebig. Wobei es schwer ist, das jetzt schon zu bewerten. Aber auf jeden Fall das Foyer in seiner damaligen Form, die Garderoben, die Bühne und natürlich der große Saal. Sie sehen schon, es ist nicht einfach, etwas zu favorisieren. Und oft sind es kleine Details, Situationen, die sich aus Momenten ergeben. Spannend war für mich aber auch das sogenannte Funktionsgebäude Unter den Linden, weil es ein reiner Neubau von 1965 von nur einem, dem Stil der DDR-Moderne geprägt ist. Wenn man über die “Seufzerbrücke” läuft, den Verbindungsgang vom Haupthaus in das Verwaltungsgebäude, tritt man ein in diese sehr reduzierte, schon von rationaler Kargheit geprägte Architektur. Und eigentümlicherweise sind Ost und West in dieser Nachkriegsmoderne gar nicht so weit voneinander entfernt. Die Büros haben teilweise noch die originale Einrichtung mit den in die Räume eingepassten Schränken. Am Ende der langen Flure öffnet sich dann der Blick auf die Glinkastraße, eine Perspektive, der man nach der Fertigstellung des Erweiterungsbaues so nicht mehr folgen kann.

Wie bringen Sie die vor allem ostmodern sehr rational geprägte Architektur mit den Inszenierungen, die sie gesehen haben, in Verbindung?

Thomas Florschuetz: Vielleicht sollte man das nicht in eine direkte Verbindung setzen. Aber man kann sich dem Schritt für Schritt annähern, so wie das Haus der Komischen Oper ja eine Synthese aus unterschiedlichen Stilen und Zeiten ist. Und zeitgenössische Inszenierungen (von Opern) sind doch im Wesentlichen etwas Vergleichbares: der Blick mit heutigen Augen auf ein Stück, das ja, fast immer, historisch ist, und immer wieder neu befragt werden kann und muss.

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#KOBwirkommenwieder

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© Heidi Specker | Blick aus dem Funktionsgebäude

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Adieu Kronleuchter! Der prachtvolle Leuchter wurde herabgelassen. Jetzt wird er von Restauratoren auseinandergebaut, katalogisiert und eingelagert. Wenn das Haus in der Behrenstraße in einigen Jahren wieder die Türen öffnet, wird er glänzend in 18 Meter Höhe unter der Decke hängen. Wir freuen uns schon darauf!
©Maximiliam Grosser
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© Heidi Specker | Kellertreppe mit Stahlgeländer, Bühnenhaus
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13. Dezember 2023

Der liebevolle Blick zurück in die Behrenstraße ­3

Die Bestuhlung aus der Loge des Zuschauersaales im 1. Rang rechts. Diese Stühle haben nicht nur Nummern sondern auch Charakter. Sie werden überarbeitet, neu gepolstert und sind nach der Sanierung genau dort wieder zu besetzen. Die in Berlin lebende Künstlerin Heidi Specker hat sich im Sommer 2022 mit dem Stammhaus und der Institution Komische Oper Berlin beschäftigt. Herausgekommen ist ein künstlerisches Portrait, das uns einen ganz speziellen Blick auf die Vergangenheit der Komische Oper Berlin zeigt.


© Heidi Specker | Bestuhlung Loge, Zuschauersaal, 1. Rang rechts


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6. November 2023

Der liebevolle Blick zurück in die Behrenstraße ­2

Durch diese Tür sind seit den 1960er Jahren viele tausende Menschen in das Opernhaus ein- und ausgetreten. Die Haustür der Bühnenpforte befindet sich seitlich des Hauses in der Behrenstraße. Die in Berlin lebende Künstlerin Heidi Specker hat sich im Sommer 2022 mit dem Stammhaus und der Institution Komische Oper Berlin beschäftigt. Herausgekommen ist ein künstlerisches Portrait, das uns einen ganz speziellen Blick auf die Vergangenheit der Komische Oper Berlin zeigt.

© Heidi Specker | Haustür am Bühneneingang

Heidi Specker Sanierung Behrenstraße
©Heidi Specker
2. November 2023

Der liebevolle Blick zurück in die Behrenstraße ­1

Die in Berlin lebende Künstlerin Heidi Specker hat sich im Sommer 2022 mit dem Stammhaus und der Institution Komische Oper Berlin beschäftigt. Herausgekommen ist ein künstlerisches Portrait, das uns einen ganz speziellen Blick auf die Vergangenheit der Komische Oper Berlin zeigt. Die Arbeiten zeigen Atmosphären und Stimmungen, die poetisch, skurril, humorvoll – aber auch sperrig und radikal sind. Seit Sommer 2023 wird das Opernhaus an der Behrenstraße umfassend saniert, modernisiert und erweitert. Das Gebäude wird zukunftsfähig gemacht, damit in dieser Institution auch in Zukunft innovatives, emotionales und ergreifendes Musiktheater entstehen kann.

©Heidi Specker | Treppengeländer, großes Treppenhaus, Zuschauerhaus, 2. Rang rechts
Heidi Specker Sanierung Behrenstraße
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Foto © Jan Windszus Photography
Sanierung Raus in die Stadt
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Der letzte Vorhang fällt!

Keine Sorge, denn er wird weiter zu bewundern sein: ab Sommer 2024 im »Infozentrum Baustelle Komische Oper Berlin« gleich neben der Opernkasse. Diese bleibt übrigens auch während des Umbaus geöffnet!
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