© Jaro Suffner
Denk ich an Ostdeutschland …
Richard Wagner und Johann Sebastian Bach, Ruth Zechlin und Siegfried Matthus – mit zwei Leipziger Söhnen und zwei DDR-Ikonen begibt sich das Orchester der KOB unter der Leitung von James Gaffigan auf die Spuren ostdeutscher Musikgeschichte!
Ostdeutsche Musik – damit ist Musik aus der DDR gemeint, entstanden zwischen 1949 und 1989, richtig? Wenn man das Wort »Ostdeutschland« hört, denkt man wohl zuallererst an die Deutsche Demokratische Republik, obwohl der Staat nach nur 40 Jahren wieder von der Landkarte verschwand. Sicherlich trägt auch diese Tatsache zu seiner Faszination bei: Die Geschichte eines Lands, dessen Existenz noch nicht weit zurückliegt und dessen direkte Auswirkungen wir bis in die Gegenwart spüren und diskutieren. Die Entstehung des Landes (auch) auf Grundlage einer Utopie, die Abschottung durch die Mauer nach innen und außen und nicht zuletzt der Zerfall des Staats – schließlich die Geschichte der friedlichen Revolution und einer »Wiedervereinigung« bei der eher von einem Beitritt die Rede sein kann – und letztlich das völlige Verschwinden dieses Staates. Im Rückblick betrachten wir seine Ideologie, Kultur und den damaligen Alltag mit großer Neugier. Allerdings begann und endete eine ostdeutsche (Musik-)Geschichte nicht erst mit der DDR, wie das heutige Konzert eindrücklich beweist.
Go East!
Sinfoniekonzert mit dem Orchester der Komischen Oper Berlin unter der Leitung von James Gaffigan
Solistinnen: Alma Sadé und Danae Dörken
Berlin – Leipzig – Dresden: künstlerische Metropolen
Unter Umständen ist die lokale Identität für eine:n Künstler:in bedeutsamer als die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einer Stadt oder Region prägt das Selbstbild und beeinflusst die Kunst – Dresden anders als Leipzig, Potsdam anders als Rostock. So fühlte sich Siegfried Matthus stark der Region seines Aufwachsens verbunden, hatte er doch in Rheinsberg die Oberschule besucht. Später, nach der politischen Wende, machte er sich dort verdient, gründete die Rheinsberger Musikakademie und wurde schließlich mit der Verleihung des großen Bundeverdienstkreuzes geehrt. Doch auch seine Berliner Zeit war bedeutsam für den Komponisten, fand er doch in der Hauptstadt der DDR eine reiche musikalische Szene – zunächst im Studium an der Deutschen Musikhochschule (der späteren Hochschule für Musik »Hanns Eisler«), wo er u. a. Komposition bei Rudolf Wagner-Régeny studierte. Hanns Eisler gehörte hier zum Professorenkollegium der ersten Generation, Matthus wurde ab 1958 Eislers Meisterschüler. In Ost-Berlin fand man eine reiche Musikkultur vor, mit der (damals noch) Deutschen Staatsoper und der Komischen Oper Berlin gleich zwei große Opernhäuser, bedeutende Klangkörper wie die Staatskapelle und das Berliner Sinfonie-Orchester, das ab 1984 das wiederaufgebaute Konzerthaus Berlin zur dauerhaften Spielstätte bekam. Besonders an der Komischen Oper Berlin fand Matthus eine wichtige Wirkungsstätte, die sich auch der Aufführung zeitgenössischer Musik aus der DDR verschrieben hatte und mit ihrem Gründer Walter Felsenstein das moderne Musiktheater, nicht nur in der DDR, voranbrachte. So wurde Berlins reiche Musikkultur und -geschichte auch zu DDR-Zeiten weitergeführt und knüpfte an eine namhafte jahrhundertelange Geschichte an.
Ähnlich bedeutsam sind ihre Wirkungsstätten auch für die Kunst der anderen drei – Ruth Zechlin und Johann Sebastian Bach haben beide einen besonders starken Bezug zu Leipzig. Bach wurde dort zum Thomaskantor und prägte das Bild der Musikstadt nachhaltig. Der gebürtige Eisenacher bewegte sich Zeit seines Lebens weitestgehend in der Region seiner Herkunft Wenngleich es ihn kurzzeitig auch ins norddeutsche Lüneburg verschlug, wird sein Andenken doch besonders in Leipzig hochgehalten, wo seine Werke regelmäßig aufgeführt werden, man das Bach-Museum im Bach-Haus findet und vor der Thomaskirche von seinem Denkmal begrüßt wird.
Ähnlich bedeutsam sind ihre Wirkungsstätten auch für die Kunst der anderen drei – Ruth Zechlin und Johann Sebastian Bach haben beide einen besonders starken Bezug zu Leipzig. Bach wurde dort zum Thomaskantor und prägte das Bild der Musikstadt nachhaltig. Der gebürtige Eisenacher bewegte sich Zeit seines Lebens weitestgehend in der Region seiner Herkunft Wenngleich es ihn kurzzeitig auch ins norddeutsche Lüneburg verschlug, wird sein Andenken doch besonders in Leipzig hochgehalten, wo seine Werke regelmäßig aufgeführt werden, man das Bach-Museum im Bach-Haus findet und vor der Thomaskirche von seinem Denkmal begrüßt wird.
Ruth Zechlin wurde durch das Nachwirken des großen Meisters wesentlich geprägt. Aus einer sächsischen Kleinstadt nach Leipzig kommend, befasste sie sich ausgiebig mit dem Bach’schen Werk, sowohl vor als auch nach ihrer Leipziger Zeit. Leipzig ist nach wie vor eine wichtige Musikstadt, war Wirkungsstätte von Protagonist:innen der klassischen Musik wie Felix Mendelssohn Bartholdy, Clara und Robert Schumann oder Gustav Mahler und ist u. a. auch Geburtsstadt von Hanns Eisler. Neben der Leipziger Oper war und ist besonders das Gewandhausorchester für die musikalische Kultur und Außenwirkung der Stadt von Bedeutung.
Richard Wagner – ein Ossi?
Auch Richard Wagner, gebürtiger Leipziger, wurde durch sein Aufwachsen in dieser Region geprägt. Die Familie zog allerdings bald nach Dresden, Richard besuchte die Dresdner Kreuzschule. In Dresden wurde seine Liebe zur Musik geweckt, er schätzte besonders Carl Maria von Weber, zu dieser Zeit dortiger Operndirektor. 1827 kehrte die Familie nach Leipzig zurück, wo Richard Wagner die Thomasschule besuchte und später ein Musikstudium an der Leipziger Universität aufnahm. Wagner hatte später ein unstetes Leben mit zahlreichen Stationen im In- und Ausland, kehrte aber 1842 noch einmal nach Dresden zurück, wo am 20. Oktober sein Rienzi am Hoftheater uraufgeführt wurde. Später folgte die Ernennung zum Königlich Sächsischen Hofkapellmeister, und er schuf dort auch seinen Fliegenden Holländer und Tannhäuser, bevor er nach seiner Beteiligung an der Dresdner Revolution 1849 steckbrieflich gesucht wurde und die Stadt verließ, um sich ins Zürcher Exil zu begeben. Seine revolutionären Bestrebungen sind wohl genauso mit der Stadt Dresden in Verbindung zu bringen wie die musikalische Opulenz seiner hier entstandenen Opern.
Um die Stadt Dresden rankt sich ein musikalischer Mythos, verbunden mit Namen wie Richard Wagner, Heinrich Schütz und Carl Maria von Weber. Aber auch Institutionen wie der Dresdner Kreuzchor oder die Sächsische Staatskapelle prägen das Bild der musikalischen Stadt. Historische Ereignisse wie die dortige Uraufführung von Schönbergs Moses und Aron 1975, aber auch Richard Strauss’ Bezug zur Staatskapelle, befeuern dies noch. Das Bundesland Sachsen ist heute das Land mit der höchsten Orchester- und Theaterdichte Deutschlands – 16 Theater hat der Freistaat zu bieten, darunter die Oper Leipzig und die Sächsische Staatsoper Dresden, beide mehr als 300 Jahre alt. Hinzu kommen 12 Orchester – eine reiche Musiklandschaft bietet sich hier, die auch zu DDR-Zeiten gefördert und genutzt wurde (der Staat hatte im Vergleich zur Einwohnerzahl die höchste Dichte an Sinfonieorchestern). Dabei ist die sehr individuelle Erzählung einer Stadtgeschichte nicht genuin ostdeutsch, sondern (in diesem Fall) besonders Dresdnerisch, geprägt von einer jahrhundertealten Musikkultur, in der sich die DDR-Geschichte als jüngerer Teil einfügt.
Zehn Jahre nach seiner Dresdner Zeit finalisierte Wagner mit Tristan und Isolde eine der berühmtesten Liebesopern der Musikgeschichte, die allgemein mit Wagners Begegnung mit Mathilde Wesendonck in Verbindung gebracht wird. Das persönliche Empfinden und die Verklärung dieser Liebe, die Wagner einmal als seine erste und einzige bezeichnete, mündeten in seinen Tristan. Im Sehnen nach einer tiefen Liebe schuf er die Partitur, die in ein Musikdrama von als unaufführbar geltendem Ausmaß mündete. Im Orchesterstück »Vorspiel und Liebestod« aus dem Monumentalwerk findet sich die Essenz des Musikdramas, die Wagner hier ganz ohne Worte in seine Partitur goss. Bereits im Vorspiel wird die unendliche Sehnsucht nach der Liebe und der Vereinigung der Liebenden im gemeinsamen Tod vorweggenommen, was Wagner schlussendlich im Liebestod wieder aufnimmt, musikalisch aus- und zu Ende führt.
Um die Stadt Dresden rankt sich ein musikalischer Mythos, verbunden mit Namen wie Richard Wagner, Heinrich Schütz und Carl Maria von Weber. Aber auch Institutionen wie der Dresdner Kreuzchor oder die Sächsische Staatskapelle prägen das Bild der musikalischen Stadt. Historische Ereignisse wie die dortige Uraufführung von Schönbergs Moses und Aron 1975, aber auch Richard Strauss’ Bezug zur Staatskapelle, befeuern dies noch. Das Bundesland Sachsen ist heute das Land mit der höchsten Orchester- und Theaterdichte Deutschlands – 16 Theater hat der Freistaat zu bieten, darunter die Oper Leipzig und die Sächsische Staatsoper Dresden, beide mehr als 300 Jahre alt. Hinzu kommen 12 Orchester – eine reiche Musiklandschaft bietet sich hier, die auch zu DDR-Zeiten gefördert und genutzt wurde (der Staat hatte im Vergleich zur Einwohnerzahl die höchste Dichte an Sinfonieorchestern). Dabei ist die sehr individuelle Erzählung einer Stadtgeschichte nicht genuin ostdeutsch, sondern (in diesem Fall) besonders Dresdnerisch, geprägt von einer jahrhundertealten Musikkultur, in der sich die DDR-Geschichte als jüngerer Teil einfügt.
Zehn Jahre nach seiner Dresdner Zeit finalisierte Wagner mit Tristan und Isolde eine der berühmtesten Liebesopern der Musikgeschichte, die allgemein mit Wagners Begegnung mit Mathilde Wesendonck in Verbindung gebracht wird. Das persönliche Empfinden und die Verklärung dieser Liebe, die Wagner einmal als seine erste und einzige bezeichnete, mündeten in seinen Tristan. Im Sehnen nach einer tiefen Liebe schuf er die Partitur, die in ein Musikdrama von als unaufführbar geltendem Ausmaß mündete. Im Orchesterstück »Vorspiel und Liebestod« aus dem Monumentalwerk findet sich die Essenz des Musikdramas, die Wagner hier ganz ohne Worte in seine Partitur goss. Bereits im Vorspiel wird die unendliche Sehnsucht nach der Liebe und der Vereinigung der Liebenden im gemeinsamen Tod vorweggenommen, was Wagner schlussendlich im Liebestod wieder aufnimmt, musikalisch aus- und zu Ende führt.
© Jan Windszus Photography
Ursprünglich nannte er das Ende seines Musikdramas »Isoldes Verklärung«, bevor er die Klammer aus Anfang und Ende des Stücks zu einem Orchesterstück arrangierte und selbst zur Bezeichnung des Liebestods wechselte – so bildet das Werk auch den Rahmen des heutigen Konzertabends. Die Orchesterpartitur stellt ein eindrückliches Psychogramm der beiden Liebenden dar – Wagner zentriert hier in seinem Musikdrama die Innerlichkeit, lässt Raum für philosophische Überlegungen und ein genaues musikalisches Abbild der Gefühlswelt der Protagonist:innen. Das Musikdrama selbst stellt Wagner bereits 1859 fertig, wegen seiner musikalischen Beschaffenheit, die die Grenzen der Machbarkeit ausloten, galt das Werk lange Jahre als unspielbar, bis es schließlich 1865 doch zur lang ersehnten Uraufführung kommt.
Mit seinen Musikdramen hat Richard Wagner die Musikwelt nachhaltig verändert und beeinflusst – sowohl musikalisch als auch musikdramatisch. Von der Erhebung des Orchesters auf einen sinfonischen Standard, zum Ideal einer dramatischen Musik, die den Gesang nicht nur untermalt, prägen seine Neurungen auch unsere heutige Opernpraxis. Beispielsweise entwickelte Wagner die Idee eines Orchestergrabens, in dem das Orchester verdeckt spielt, um so eine vollständige Immersion in das Bühnengeschehen zu ermöglichen. Wagners romantische Musiksprache und die große musikalische Bandbreite in der Partitur prägten die Musik bis heute. Er verfolgte in seiner Idee des Gesamtkunstwerks, das alle Kunstformen in sich vereint, die Formung eines neuartigen Musiktheatererlebnisses.
Mit seinen Musikdramen hat Richard Wagner die Musikwelt nachhaltig verändert und beeinflusst – sowohl musikalisch als auch musikdramatisch. Von der Erhebung des Orchesters auf einen sinfonischen Standard, zum Ideal einer dramatischen Musik, die den Gesang nicht nur untermalt, prägen seine Neurungen auch unsere heutige Opernpraxis. Beispielsweise entwickelte Wagner die Idee eines Orchestergrabens, in dem das Orchester verdeckt spielt, um so eine vollständige Immersion in das Bühnengeschehen zu ermöglichen. Wagners romantische Musiksprache und die große musikalische Bandbreite in der Partitur prägten die Musik bis heute. Er verfolgte in seiner Idee des Gesamtkunstwerks, das alle Kunstformen in sich vereint, die Formung eines neuartigen Musiktheatererlebnisses.
Siegfried Matthus – Neue Töne braucht das Land
Siegfried Matthus kann im Kontext der Neuen Musik in der DDR ebenfalls als ein Pionier des Musiktheaters bezeichnet werden. Sein Werk zeichnet eine intensive Auseinandersetzung mit Musiktheater und neuer Musik aus, die stark die eigene Kompositionsweise reflektiert. Er schrieb Werke für die große Bühne, 14 Opern, aber auch Konzerte und Kammermusik und prägte damit maßgeblich die DDR-Musiklandschaft – aber auch darüber hinaus.
Matthus, 1936 im ostpreußischen Mallenuppen geboren, war als Dramaturg an der Komischen Oper Berlin beschäftigt und besonders für zeitgenössische Musik zuständig. Von 1966-1989 arbeitete er am Haus in der Ostberliner Behrenstraße mit den großen Namen des modernen Musiktheaters seiner Zeit zusammen, darunter mit dem Komische-Oper-Gründer und Musiktheaterpionier Walter Felsenstein, den Regisseur:innen Ruth Berghaus, Götz Friedrich und Harry Kupfer oder dem Dirigenten und späteren Generalmusikdirektor Rolf Reuter. In seiner Reihe »Kammermusik im Gespräch«, die er an der Komischen Oper Berlin moderierte und kuratierte, machte er es sich zur Aufgabe, regelmäßig neue Kompositionen ins Zentrum zu stellen und so seinen zeitgenössischen Kolleg:innen eine Bühne zu bieten. In diesem Diskurs- und Konzertformat waren regelmäßig prominente Komponist:innen und Solist:innen zu Gast – darunter auch Ruth Zechlin, die sowohl als Cembalistin als auch als Gesprächspartnerin in der Veranstaltungsreihe auftrat und mit der Matthus gut bekannt war. Aber auch das Musiktheater beschäftigte ihn als Komponist und Dramaturg. Seine Oper Judith erlebte 1985 hier ihre Uraufführung und wurde eines seiner erfolgreichsten Werke.
An der Komischen Oper Berlin fanden sich seine Kompositionen recht regelmäßig im Programm, so auch sein Klavierkonzert, das 1971 hier uraufgeführt wurde. Das Konzert besteht aus vier ineinander übergehenden Abschnitten, denen unterschiedliches musikalisches Ausgangsmaterial zugrunde liegt – ein achtstimmiger Akkord, eine Ganztonfolge, eine Zwölfton- und eine diatonische Folge. Die Komposition, die den virtuosen Klavierpart ins Zentrum stellt, entstand in enger Zusammenarbeit mit der Pianistin Annerose Schmidt, die sich auch außerhalb der DDR einen Namen machte und international konzertierte.
Matthus, 1936 im ostpreußischen Mallenuppen geboren, war als Dramaturg an der Komischen Oper Berlin beschäftigt und besonders für zeitgenössische Musik zuständig. Von 1966-1989 arbeitete er am Haus in der Ostberliner Behrenstraße mit den großen Namen des modernen Musiktheaters seiner Zeit zusammen, darunter mit dem Komische-Oper-Gründer und Musiktheaterpionier Walter Felsenstein, den Regisseur:innen Ruth Berghaus, Götz Friedrich und Harry Kupfer oder dem Dirigenten und späteren Generalmusikdirektor Rolf Reuter. In seiner Reihe »Kammermusik im Gespräch«, die er an der Komischen Oper Berlin moderierte und kuratierte, machte er es sich zur Aufgabe, regelmäßig neue Kompositionen ins Zentrum zu stellen und so seinen zeitgenössischen Kolleg:innen eine Bühne zu bieten. In diesem Diskurs- und Konzertformat waren regelmäßig prominente Komponist:innen und Solist:innen zu Gast – darunter auch Ruth Zechlin, die sowohl als Cembalistin als auch als Gesprächspartnerin in der Veranstaltungsreihe auftrat und mit der Matthus gut bekannt war. Aber auch das Musiktheater beschäftigte ihn als Komponist und Dramaturg. Seine Oper Judith erlebte 1985 hier ihre Uraufführung und wurde eines seiner erfolgreichsten Werke.
An der Komischen Oper Berlin fanden sich seine Kompositionen recht regelmäßig im Programm, so auch sein Klavierkonzert, das 1971 hier uraufgeführt wurde. Das Konzert besteht aus vier ineinander übergehenden Abschnitten, denen unterschiedliches musikalisches Ausgangsmaterial zugrunde liegt – ein achtstimmiger Akkord, eine Ganztonfolge, eine Zwölfton- und eine diatonische Folge. Die Komposition, die den virtuosen Klavierpart ins Zentrum stellt, entstand in enger Zusammenarbeit mit der Pianistin Annerose Schmidt, die sich auch außerhalb der DDR einen Namen machte und international konzertierte.
© Martin Teschner
Sprung zurück in der Zeit – Mein Herze schwimmt im Blut
War Matthus ein kreativer musikalischer Neuerer, so brachte Johanna Sebastian Bach die Formen seiner Zeit zur großen Exzellenz. Kurz also zurück zum wohl berühmtesten Komponisten Ost-Deutschlands. 1714 in den Berufstand des Konzertmeisters in Weimar gehoben, begann Bach dort, regelmäßig Kirchenkantaten zu komponieren – der Anfang der späteren Leipziger Kantatenjahrgänge. In Weimar entstand auch Mein Herze schwimmt im Blut, zum 11. Sonntag nach Trinitatis 1714 komponiert und im Hofgottesdienst aufgeführt.
Zu einer erneuten Aufführung der anspruchsvollen achtsätzigen Solokantate kam es in Weimar und Köthen, später auch in Leipzig. Die Textgrundlage erhielt Bach vom Darmstädter Hofbibliothekar Georg Christian Lehms aus dem Gottgefälligen Kirchen-Oper. Lehms verfasste neben Kantatentexten auch Opernlibretti und Romane und lehnt sich nur lose an biblische Formulierungen an. Die Kantate ist geprägt von einer äußerst bildhaften Sprache mit einer Vorliebe für Komposita (darunter Wortkreationen wie »Höllenhenker«, »Tränenbrunn«, oder »Schmerzensreu«) – dieser Text wird durch Bachs Vertonung noch pointiert. Das Sujet geht auf das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner zurück und bezieht sich vor allem auf die Sündhaftigkeit des Zöllners, der um Gottes Gnade bittet, Buße tut und schließlich, erfreut von Gottes Versöhnung, sein Herz öffnet. Die äußerst musikdramatische Anlage des Werks zentriert die Entwicklung der Hauptfigur, die auch in der Komposition zum Ausdruck kommt. Im Eingangsrezitativ ist eindeutig das reuige Herz zu hören, das aus lauter Schmach »im Blute schwimmt«. Begleitet von der Oboe, drückt die zweite Arie diesen Schmerz besonders aus, hervorgehoben durch große Intervallsprünge und Dissonanzen, die die nassen Tränenquellen hörbar machen. Der sechste Satz ist der einzige Choralsatz. Dort übernimmt die Singstimme die dritte Strophe des im Weimar der Zeit bekannten Lieds »Wo soll ich fliehen hin«. Zuvor wird in der vierten Arie »Tief gebeugt und voller Reue« der Streicherchor zur Geltung gebracht, die abschließende Arie »Wie freudig ist mein Herz« gleicht dagegen einer Gigue, bringt so tänzerisch die große Freude über Gottes Gnade zum Ausdruck und bildet damit den Abschluss dieses Bach’schen Meisterwerks.
Zu einer erneuten Aufführung der anspruchsvollen achtsätzigen Solokantate kam es in Weimar und Köthen, später auch in Leipzig. Die Textgrundlage erhielt Bach vom Darmstädter Hofbibliothekar Georg Christian Lehms aus dem Gottgefälligen Kirchen-Oper. Lehms verfasste neben Kantatentexten auch Opernlibretti und Romane und lehnt sich nur lose an biblische Formulierungen an. Die Kantate ist geprägt von einer äußerst bildhaften Sprache mit einer Vorliebe für Komposita (darunter Wortkreationen wie »Höllenhenker«, »Tränenbrunn«, oder »Schmerzensreu«) – dieser Text wird durch Bachs Vertonung noch pointiert. Das Sujet geht auf das Gleichnis von Pharisäer und Zöllner zurück und bezieht sich vor allem auf die Sündhaftigkeit des Zöllners, der um Gottes Gnade bittet, Buße tut und schließlich, erfreut von Gottes Versöhnung, sein Herz öffnet. Die äußerst musikdramatische Anlage des Werks zentriert die Entwicklung der Hauptfigur, die auch in der Komposition zum Ausdruck kommt. Im Eingangsrezitativ ist eindeutig das reuige Herz zu hören, das aus lauter Schmach »im Blute schwimmt«. Begleitet von der Oboe, drückt die zweite Arie diesen Schmerz besonders aus, hervorgehoben durch große Intervallsprünge und Dissonanzen, die die nassen Tränenquellen hörbar machen. Der sechste Satz ist der einzige Choralsatz. Dort übernimmt die Singstimme die dritte Strophe des im Weimar der Zeit bekannten Lieds »Wo soll ich fliehen hin«. Zuvor wird in der vierten Arie »Tief gebeugt und voller Reue« der Streicherchor zur Geltung gebracht, die abschließende Arie »Wie freudig ist mein Herz« gleicht dagegen einer Gigue, bringt so tänzerisch die große Freude über Gottes Gnade zum Ausdruck und bildet damit den Abschluss dieses Bach’schen Meisterwerks.
Bach im Zentrum – Ruth Zechlin
Ruth Zechlin erhielt ihren ersten Klavierunterricht vom Vater und kam dabei bereits in jungen Jahren mit dem Werk Johann Sebastian Bachs in Berührung. Sie entwickelte eine Vorliebe für seine Musik, von der sie Zeit ihres Lebens umgeben war und die sie immer wieder ihr musikalisches Zentrum nannte. Die Musik Bachs beschäftigte sie als Interpretin und Komponistin, ließ sich von ihr immer wieder inspirieren und lotete daran ihr eigenes Verhältnis zu Gegenwart und Tradition aus. Fasziniert von der Vielfalt in Bachs Werken schreibt sie selbst (eine Bach-Umfrage 1905/2005):
Einzig Bachs Musik kann ich in jeder Lebenssituation aufnehmen. Die Sinne und der Intellekt werden gleichermaßen davon berührt. Es existiert darin keine einzige leere Stelle für mich.Ruth Zechlin
Einer solchen Liebeserklärung in Worten ließ Ruth Zechlin auch eigene Kompositionen folgen, in denen sie sich mit dem Bach’schen Werk auseinandersetzt, insbesondere in ihrer Musik zu Bach, die anlässlich des 300. Geburtstags des Meisters entstand. Aufgrund ihrer verschiedensten musikalischen Tätigkeiten hatte sie eine große Übersicht über Bachs Werk, als Cembalistin, Pianistin, Organistin – als Hörerin, Interpretin, Lehrerin und Komponistin. Ab 1950 war sie bereits Dozentin an der neu gegründeten Hochschule für Musik in Berlin, bevor sie dann 1969 dort eine Professur für Komposition erhielt – auch in dieser Funktion wählte sie Bach als Bezugspunkt ihres Unterrichts.
Die Leipziger Thomaskirche, wo sie regelmäßigen Bach-Aufführungen beiwohnte, empfand Zechlin als wichtigen Ort für ihre musikalische Entwicklung. Ihre Zeit an der Berliner Hochschule betrachtete sie ebenfalls als wertvoll, war beeindruckt von Eisler und stand später im Kontakt mit Paul Dessau, von dem sie sich gelegentlich beraten ließ. Als erste und lange Jahre auch einzige Komponistin der DDR war sie erfolgreich und produktiv und pflegte gute Beziehungen zu den Interpret:innen ihrer Werke, darunter das Gewandhausorchester und besonders auch das Orchester der Komischen Oper Berlin, ihr »ständiger Partner«. Zahlreiche ihrer Kompositionen wurden am Haus an der Behrenstraße uraufgeführt, so auch ihre Musik zu Bach.
Dieses Werk, mit den beiden Sätzen Epitaph und Polyphonie, entstand zum Bach-Jahr 1985. In ihrer Komposition nimmt sich Zechlin kleine melodische Intervallsplitter als Ausgangspunkt und führt dieses Prinzip durch die gesamte Komposition. Ihr Anspruch war es, eine für Bach typische Kompositionsweise zu verwenden, diese aber in einer modernen Musiksprache umzusetzen, die ihrer eigenen Kompositionsästhetik entspricht. In Aussagen über ihre Ästhetik und über andere Kunstformen, die sie interessierten, wird eine große Faszination für und Beschäftigung mit der äußeren Form deutlich. Insbesondere ungewöhnliche Strukturen reizen Zechlin, so auch bei Bach. Etwa Bachs polyphone »Durchsichtigkeit«, die sie zu ihrer Komposition inspirierte. Im zweiten Drittel ihrer Polyphonie zitiert sie dann sogar direkt ein Stück Bach: Acht Takte aus Die Kunst der Fuge halten in ihre Komposition Einzug – obwohl sie sich als Gegnerin von Zitaten bezeichnete. Die beiden kontrastierenden Sätze der Komposition sind durch gemeinsames musikalisches Material miteinander verbunden, wobei die Komponistin das Epitaph als ernst und die Polyphonie als gelöster beschreibt. Zwar verwendet sie keine barocke Besetzung, gleicht sich aber bewusst an die Klangwelt Bachs an.
Die Leipziger Thomaskirche, wo sie regelmäßigen Bach-Aufführungen beiwohnte, empfand Zechlin als wichtigen Ort für ihre musikalische Entwicklung. Ihre Zeit an der Berliner Hochschule betrachtete sie ebenfalls als wertvoll, war beeindruckt von Eisler und stand später im Kontakt mit Paul Dessau, von dem sie sich gelegentlich beraten ließ. Als erste und lange Jahre auch einzige Komponistin der DDR war sie erfolgreich und produktiv und pflegte gute Beziehungen zu den Interpret:innen ihrer Werke, darunter das Gewandhausorchester und besonders auch das Orchester der Komischen Oper Berlin, ihr »ständiger Partner«. Zahlreiche ihrer Kompositionen wurden am Haus an der Behrenstraße uraufgeführt, so auch ihre Musik zu Bach.
Dieses Werk, mit den beiden Sätzen Epitaph und Polyphonie, entstand zum Bach-Jahr 1985. In ihrer Komposition nimmt sich Zechlin kleine melodische Intervallsplitter als Ausgangspunkt und führt dieses Prinzip durch die gesamte Komposition. Ihr Anspruch war es, eine für Bach typische Kompositionsweise zu verwenden, diese aber in einer modernen Musiksprache umzusetzen, die ihrer eigenen Kompositionsästhetik entspricht. In Aussagen über ihre Ästhetik und über andere Kunstformen, die sie interessierten, wird eine große Faszination für und Beschäftigung mit der äußeren Form deutlich. Insbesondere ungewöhnliche Strukturen reizen Zechlin, so auch bei Bach. Etwa Bachs polyphone »Durchsichtigkeit«, die sie zu ihrer Komposition inspirierte. Im zweiten Drittel ihrer Polyphonie zitiert sie dann sogar direkt ein Stück Bach: Acht Takte aus Die Kunst der Fuge halten in ihre Komposition Einzug – obwohl sie sich als Gegnerin von Zitaten bezeichnete. Die beiden kontrastierenden Sätze der Komposition sind durch gemeinsames musikalisches Material miteinander verbunden, wobei die Komponistin das Epitaph als ernst und die Polyphonie als gelöster beschreibt. Zwar verwendet sie keine barocke Besetzung, gleicht sich aber bewusst an die Klangwelt Bachs an.
Denk ich an Ostdeutschland … denk ich Musik!
Was haben Richard Wagner und Siegfried Matthus also gemein, was vereint Johann Sebastian Bach und Ruth Zechlin? Wenn sie auch musikalisch sehr unterschiedlich sein mögen, sind sie doch alle Teil einer vielfältigen ostdeutschen Musikgeschichte. Es lohnt sich, diesen ungeahnten musikalischen und historischen Bögen nachzuspüren. Als ehemals wichtiger Schrittmacher der DDR-Musiklandschaft widmet sich das Orchester der Komischen Oper Berlin einem Teil der eigenen Geschichte und begibt sich dafür in die Mitte der Stadt ins Berliner Konzerthaus, einem weiteren wichtigen Spielort ostdeutscher Musikgeschichte. Also: Go East!
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