Von der Herr­schaft der Spra­che zur Macht der Musik

Wie überträgt man den britischen Dialekt von My fair Lady ins Deutsche? Andreas Homoki findet die Antwort im Berlinischen, das wie das Cockney des Londoner East End soziale Grenzen markiert. Seine Inszenierung zeigt, dass Sprache nicht nur verbindet, sondern auch ausschließt – und wie sich soziale Aufstiege und Machtverhältnisse allein durch die richtigen Worte formen. My fair Lady macht aus diesem Klassenkampf ums 'richtige Sprechen' eine heitere Persiflage. Überzeichnet stellt Andreas Homokis Inszenierung die Frage: Lässt sich der Klassenkampf mit dem richtigem Sprachgefühl beenden? Ein Gespräch über die subtile Gewalt der Sprache, über Dialekt als soziales Stigma und darüber, warum der feine Stil der Oberschicht nichts wert ist, wenn man ihn mit den „falschen“ Worten trägt.
Sie gelten als ausgewiesener Opernregisseur und haben so ziemlich alles inszeniert von Mozart bis Wagner, von Strauss bis Aribert Reimann. Musical stand bisher nicht auf ihrer Agenda …

Andreas Homoki: Dabei bin ich eigentlich übers Musical zum Musiktheater gekommen! Ich mochte Musicals schon immer, im Gegensatz zur Oper übrigens, der Zugang ist ja auch viel leichter. Als ich an an der damaligen Hochschule der Künste Berlin Musik studierte, entdeckte ich, dass es mir großen Spaß machte, auf der Bühne zu singen und zu spielen. Bei einem Musical-Projekt stellte ich dann fest, dass ich auf szenischen Proben viele eigene Einfälle hatte. So kam ich zur Regie, und der Weg zur Oper war der konsequente nächste Schritt.

My fair Lady
Frederick Loewe

Musical in zwei Akten [1956] nach George Bernard Shaws Pygmalion und dem Film von Gabriel Pascal

Buch von Alan Jay Lerner

Deutsch von Robert Gilbert
Steht anders als bei der Oper beim Musical nicht die Szene stärker im Vordergrund als die Musik?

Andreas Homoki: Zunächst einmal steht für einen Regisseur auch in der Oper immer die Szene im Vordergrund, dafür wird er schließlich engagiert. Andererseits ist es eigentlich immer die Musik, die inszeniert. Sie zeigt mir, wo Beschleunigungen, emotionale Höhepunkte und dramatische Wendungen sind. Sie führt mich, bietet mir Widerstände – meine Arbeit besteht zum größten Teil darin, dass ich auf die Musik reagiere.

Ist es so anders, ein Musical zu inszenieren als ein Singspiel oder eine Operette? Hier wie dort gibt es musikalische Gesangsnummern und gesprochene Dialoge …

Andreas Homoki: Im Musical sind die Musiknummern meist viel kürzer als in der Oper und selten wirklich handlungstragend. Sie sind oft reine Shownummern, in denen sich eine bestimmte Emotion in eine Traum oder Revuewelt verwandelt. Zwischen ihnen nehmen die Dialoge viel mehr Raum ein als beispielsweise in einer Opéra comique oder auch Operette. Die Handlung wird fast ausschließlich durch die Dialoge vorangetrieben. Diese Polarität zwischen Kammerspiel und großer Revue bedingt einerseits über weite Strecken einen sehr feinen Pinsel wie im Schauspiel und zwingt mich gleichzeitig, sehr früh und weit vor dem eigentlichen Probenbeginn großformatig zu denken und detaillierte Entscheidungen zur Gesamt-Architektur des Abends zu treffen: Wie sehen die großen Shownummern aus? Wie viel Personal wird pro Nummer benötigt? Wie viel soll getanzt werden? Gibt es reine Solo-Nummern, die zu einer Revue-Nummer erweitert werden sollten? Wie viele szenische Verwandlungen sind nötig, wie viele Kostüme und vieles mehr …
Zwei Darsteller sitzen gemeinsam auf einem Sessel, der eine mit einer Zeitung in der Hand
Gutes Regiehandwerk ist Ihnen in Ihrer Arbeit sehr wichtig. Was verstehen Sie genau darunter?

Andreas Homoki: Zunächst gehört dazu eine klare konzeptionelle Vorarbeit – herauszuarbeiten, worum es im Stück wirklich geht. Dann muss man in der Lage sein, die konzeptionellen Ideen auch sichtbar zu machen und sie umzusetzen – mit dem einzelnen Darsteller genauso wie mit dem Chor oder der Dance Company. Die Musik gibt dabei vieles vor. Musik lässt sich zwar inhaltlich sehr verschieden interpretieren, legt andererseits durch ihre Struktur jedoch sehr viel fest. Tempo, Dynamik, Stillstand, Intensität, Lautstärke, Kontinuität, das sind Parameter, denen man sich nicht entziehen kann, egal ob im Musical oder in der Oper. In der Oper zum Beispiel besteht die Herausforderung oft darin, bei musikalischen Wiederholungen inhaltlich Gleiches neu zu formulieren. Bei Wiederholungen muss ich als Regisseur dieselbe Situation szenisch immer wieder neu artikulieren, dann erfahre ich sie plötzlich neu und aus anderem Blickwinkel. Oder wenn sich die Musik plötzlich ändert, dann will ich das auch sehen. Es geht darum, die Aufmerksamkeit des Zuschauers – für ihn selbst oft gar nicht wahrnehmbar – frisch und fokussiert zu halten. Es gilt: Ich höre nur, was ich sehe. Oder: Was ich sehe, höre ich besser.

Ein Zuschauer sagte vor Kurzem: »Bei My Fair Lady braucht man doch gar keinen Regisseur. Da weiß doch jeder, wie es aussehen soll.«

Andreas Homoki: Wie soll das denn gehen: Alle wissen, wie es aussehen soll, und legen dann irgendwie los? Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass jeder sofort bestimmte Bilder im Kopf hat, wenn er an das Stück denkt. Und auch ich finde, dass – salopp gesagt – My Fair Lady aussehen sollte wie My Fair Lady. Es gibt einfach Stücke, die man stärker als andere mit einem bestimmten Kolorit und einer bestimmten Zeit verbindet. Zum Beispiel diese alten Apparate, wie sie Higgins für seine Aufnahmen benutzt, die sind doch sehr charmant, und ich würde viel verschenken, würde ich das Stück aktualisieren und Higgins müsste plötzlich mit einem iPod hantieren. Auch die für das Stück so wichtige Klassengesellschaft ist in heutigen Großstädten viel komplexeren multi-ethnischen Konstellationen gewichen. Allerdings hat mich bei Aufführungen und auch in dem berühmten Film mit Audrey Hepburn oft gestört, dass ich diese Klassenunterschiede nie deutlich genug wahrgenommen habe. Um 1910 trugen eben auch Arbeiter Melonen auf dem Kopf und die Arbeiterinnen Hüte und lange Kleider und wirken auf historischen Fotos auf uns heute fast elegant. Meiner Eliza als Konsequenz ein schmutziges Gesicht zu schminken, um sie als Proletarierin kenntlich zu machen, ist mir als Theatermittel zu klein. Daher haben wir die Zeit der Handlung geringfügig verschoben – in die zwanziger Jahre, die ja gerade auch für Berlin sehr prägend waren. Was nebenbei hervorragend zum Berliner Dialekt passt, den wir benutzen.
Lassen sich die Klassenunterschiede, die in der englischen Sprache unverrückbar zementiert sind, einfach so ins Deutsche übertragen?

Andreas Homoki: In Berlin schon! Denn das Berlinische ist nicht nur ein Dialekt, sondern auch ein Soziolekt – ganz analog zum Cockney des Londoner East End, das Eliza benutzt. Higgins hat recht, wenn er sagt, dass Sprache sozial stigmatisieren kann. Eltern achten von jeher darauf, dass ihre Kinder »schön« sprechen, weil das Beherrschen der Hochsprache Voraussetzung für den sozialen Aufstieg ist. Ein allzu breites Berlinisch läuft in bestimmten Kreisen auch heute noch Gefahr, als »Proletensprache« diskreditiert zu werden. Das ist nicht überall so. Kölsch zum Beispiel hat zwar ebenfalls schichtspezifische Ausprägungen, aber man ist bis ins Großbürgertum stolz auf »unser kölsche Sprooch«. In der Schweiz, wo ich jetzt lebe, ist die Mundart überhaupt nicht sozial belegt und alle sprechen sie, völlig unabhängig von der sozialen Herkunft. Würde ich das Stück in Zürich so inszenieren, dass Higgins Eliza ihre Schweizer Mundart zugunsten eines »reinen« Hochdeutschs austreiben will, käme das sehr negativ rüber. Berlinisch ist also ideal für My Fair Lady. Wenn man das Stück ins Deutsche übersetzt, kann es eigentlich nur hier spielen.

Eliza Doolittle ist Blumenverkäuferin. Was ist daran eigentlich so schlimm?

Andreas Homoki: Tatsächlich verstehen wir heute gar nicht, warum alle im Stück so entsetzt sind, wenn es heißt: »Oh Gott, ein Blumenmädchen!« Wenn ich das Wort heute höre, verbinde ich damit eher einen Blumenladen oder ein Hippiemädchen. Es geht eigentlich um das Proletarische, das stigmatisiert Unterschichthafte, von dem sich die Oberschicht auch durch die Sprache abgrenzen will. Das Stück ist eine Persiflage der Klassengesellschaft, die auch Higgins im Grunde verachtet. Er kann sich das leisten, weil er oben steht, aber eigentlich ist er ein Rebell, der mit jeglichem Upperclass-Schmu nichts am Hut hat. Er sagt, die Herrschaft der Oberschicht basiere nur auf der Sprache. Wehe euch, wenn die Proletarier anfangen, schön zu sprechen, dann seid ihr alle erledigt! Eine absurde Überzeichnung, aber es ist tatsächlich etwas dran! Wenn ich nicht kultiviert sprechen kann, habe ich auch in Deutschland ein Problem. Mit einer »prolligen« Sprache wird man kein Vorstandschef.

Sozialer Klassenkampf als Musical – das klingt nach keinem ganz einfachen Unterfangen. Die meisten haben ja besonders die Verfilmung im Kopf, wenn sie an My Fair Lady denken …

Andreas Homoki: Keine Sorge, eine Persiflage ist – auch wenn es um die Klassengesellschaft geht – vor allem etwas, über das gelacht werden soll. Und selbstverständlich wird auch die Ausstattung in puncto Opulenz keine Wünsche offen lassen – wie es sich für ein Musical gehört. Aber im Gegensatz zur Verfilmung mit Audrey Hepburn, in der die Darsteller geradezu naturalistisch geführt werden, bemühen wir uns um eine pointiertere Spielweise, die bis ins Slapstickhafte reicht. Anders als in der Oper, wo szenische Glaubwürdigkeit durch Natürlichkeit der Bewegung angestrebt wird, artikuliert sich im Musical alles über Tanzmusik – alles wird sofort zum Tanz!
Also gilt auch für My Fair Lady »prima la musica«?

Andreas Homoki: Alles ist Musik. Selbst die Dialoge müssen so gesprochen werden, dass von ihnen ein Rhythmus und eine Musikalität ausgeht. Sobald aber das Orchester einsteigt, muss man das Gefühl haben, die Leute singen, weil es ihnen Spaß macht, weil sie Lust haben, sich jetzt so auszudrücken. Eine wichtige Referenz sind für mich die alten Musicalfilme aus den 1940er Jahren wie Gene Kellys Singing in the rain. Auch Solonummern haben dort immer etwas Choreographisches, sind extremer im Ausdruck, vergrößert, überspitzter im Gestus, kabarettistisch. Eine Figur singt, weil sie fröhlich oder traurig ist. Deshalb tanzt sie auch plötzlich beim Singen. Sie macht Musik. Mit dem ganzen Körper!

My Fair Lady wird landauf, landab gespielt. Wie unterscheidet sich die Inszenierung an der Komischen Oper Berlin von diesen Produktionen?

Andreas Homoki: Zum Beispiel dadurch, dass wir das Stück absolut strichlos spielen! Gerade im Stadttheater gilt das Musical ja oft als kleine Form, bei der man schon mal den Rotstift ansetzt. Doch My Fair Lady ist nun wirklich alles andere als klein! Bei uns wird jede Nummer des Stückes gespielt und das in ihrer gesamten Länge. Und groß besetzt mit bis zu 70 Mitwirkenden. Gerade hier an der Komischen Oper Berlin, die sich in den letzten Jahren eine weitreichende Kompetenz im Umgang mit dem Musical erworben hat, stehen wir in der Pflicht, My Fair Lady in einem Maßstab zu spielen, wie es wohl nirgendwo sonst auf der Welt möglich ist.
Februar 2026
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Sa
7.
Feb
19:30
Wieder da!
Frederick Loewe
Schillertheater – Großer Saal
Im Anschluss
After Show Lounge
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Di
10.
Feb
19:00
Frederick Loewe
Schillertheater – Großer Saal
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Mi
11.
Feb
19:00
Frederick Loewe
Schillertheater – Großer Saal