Ein gesungener Protest

»Was in unsern Zeiten nicht erlaubt ist, gesagt zu werden, wird gesungen.« schrieb die Wiener Realzeitung über die Uraufführung von Le nozze di Figaro. Wie Mozart die Kritik an der Obrigkeit auch musikalisch in seine Oper vertont hat und wie Kirill Serebrennikov gesellschaftlicher Ungleichheit im Bühnenbild Ausdruck verleiht, erfahren Sie hier – das Wichtigste in Kürze.

Verboten komisch

Mozart schlug Librettist Lorenzo Da Ponte die Vorlage für ihre erste Zusammenarbeit vor und wagte sich damit weit in politisch gefährliches Terrain: Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais’ La Folle Journée, ou le Mariage de Figaro. Diese herrschaftskritische Komödie war, nach langem Kampf mit der Zensur, 1784 in Paris uraufgeführt worden.

Kaiser Joseph II. selbst verbot die Aufführung der deutschen Übersetzung von Beaumarchais’ Komödie in Wien, doch der Erfolg von Giovanni Paisiellos Il barbiere di Siviglia, basierend auf dem ersten Teil der Figaro-Trilogie von Beaumarchais, ebnete Mozart und Da Ponte den Weg für die erste ihrer drei gemeinsamen Opern, nämlich: Le nozze di Figaro, der Così fan tutte und Don Giovanni folgten.

Le nozze di Figaro, ossia la folle giornata entstand in nur sechs Wochen sehr enger Zusammenarbeit zwischen Mozart und Da Ponte, wobei man heute kaum noch unterscheiden kann, welche Idee aus wessen Kopf stammt. Die Oper war schon fast fertiggestellt, als die Genehmigung des Kaisers überhaupt eingeholt wurde.

Die Oper wurde am 1. Mai 1786 am Wiener Burgtheater uraufgeführt. Unter der Leitung Mozarts und durch die Abwesenheit des Kaisers wurde sie ein großer Erfolg. Die »Wiener Realzeitung« schrieb den seither berühmten Satz zur Uraufführung: »Was in unsern Zeiten nicht erlaubt ist, gesagt zu werden, wird gesungen.« – ein freies Zitat aus Beaumarchais’ Le Barbier de Séville ou La Précaution inutile.

Die Macht der Worte und des Raumes

Das Machtgefälle zwischen Graf, Gräfin und Dienerschaft drückt Mozart kunstvoll aus – durch einen noblen und erhabenen Arienstil für die Oberschicht, zweisätzig, mit einleitendem Accompagnato und vielschichtige Gefühle darstellend; und durch einfachere, einsätzige Arien für alle Angestellten des Grafen und der Gräfin.

Der größte Musikanteil kommt Susanna zu, die zwei Arien, alle sechs Duette und in sechs größeren Ensembles singt. Ihre listigen Wesenszüge, ihre Menschenkenntnis und ihre realistische Lebenseinstellung machen sie zum Motor der Handlung.

20 Minuten, 6 Sänger:innen und eines der besten Musikstücke Mozarts: Im Finale des zweiten Akts spitzt sich die Handlung bis zum scheinbar unlösbaren Chaos und Scheitern aller Intrigen zu, und zugleich scheint die Zeit durch gekonnt gesetzte metrische Kompositionsstreiche wie verzaubert stillzustehen.

Oben und unten

»Niedere Stellung« ist wörtlich gemeint: Kirill Serebrennikov strukturiert die Bühne in zwei Ebenen. Die untere: ein Keller, vollgestopft mit Waschmaschinen, Bügelbrettern und erdrückt von einer niedrigen Decke. Die obere: weiträumig, leer bis auf wenige, demonstrativ exklusive Kunstwerke.

Cherubino, die Personifikation des Eros, ein junger Mann, fast noch ein Teenager, der schnell verliebt und schnell verwirrt, doch für den ihn verspottenden Grafen dennoch ein sexueller Rivale ist: Kirill Serebrennikov verteilt diese Rolle auf einen Schauspieler und eine Sopranistin und schafft dadurch eine neue Figur, Cherubina. Damit kommt er der Opernkonvention bei, Cherubino mit einem Sopran zu besetzen, die dem Publikum allzu viel Fantasie abverlangt – und macht Cherubino so zum glaubhaften Nebenbuhler. Cherubino ist gehörlos und seine Sprache nur für Cherubina zu verstehen. Seine einzige Waffe, unter Ganzkörpereinsatz: die Leidenschaft.

Dezember 2024
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Fr
27.
Dez
19:00
Zum letzten Mal in dieser Spielzeit!
Wolfgang Amadeus Mozart
Schillertheater – Großer Saal

Mehr dazu

28. April 2024
»Beeindruckend, wie nachhaltig Kirill Serebrennikow die Tiefendimension und die politische Stoßkraft der Macht- und Besitzverhältnisse in Mozarts »Le nozze di Figaro«, die Winkelzüge der Gefühle und des Gelächters, reflektiert und darstellen lässt ... Und wie enthusiastisch ihm das Ensemble der Komischen Oper durch das Comedia-Abenteuer all der Krümmungen und Windungen in Mozarts »Tollem Tag« folgt. Ungeteilt die Zustimmung im Berliner Schillertheater.«

»Le nozze di Figaro« von Wolfgang Amadeus Mozart
Wolfgang Schreiber, Süddeutsche Zeitung
#KOBFigaro
28. April 2024
»Dieses entfesselte Theater funktioniert als Ganzes vor allem, weil Tommaso Barea ein in jeder Hinsicht dunkel attraktiver Figaro ist und Hubert Zapiór sein smart arroganter Gegenspieler als Graf Almaviva. Dass Susanna die Frau ist, die hier eigentlich den größten Durchblick hat, wird von der beherzt frischen Penny Sofroniadou durchweg und darstellerisch beglaubigt. Nadja Mchantaf ist als Contessa längst desillusioniert, was die Dauerhaftigkeit von Liebesglück betrifft. Sie klingt auch melancholisch sanft. ... Am Pult des Orchesters der Komischen Oper sorgt James Gaffigan durchweg für die zupackende Dramatik, die diese szenische Deutung herausfordert, setzt ihr aber auch musikalisches Innehalten entgegen und sichert den Sängern Raum zur Entfaltung.«

»Le nozze di Figaro« von Wolfgang Amadeus Mozart
Joachim Lange, NMZ
#KOBFigaro
13.03.2023
Serebrennikov rückt die Fiordiligi von Nadja Mchantaf ins Zentrum. In der Sopranistin des Hauses hat er eine großartige Darstellerin gefunden ... Ebenso bezaubernd präsentiert sich Susan Zarrabi als vergnügungssüchtigere Dorabella. Die homogene, spielfreudige Sängertruppe führt in dieser Mozart-Neuproduktion wieder einmal vor, was den großen Reiz der Komischen Oper ausmacht. Es ist das Miteinander, alle Handelnden möglichst lebensecht auf die Bühne zu bringen. Mit seinem schön geführten Tenor überzeugt Caspar Singh als Dorabellas Verlobter Ferrando, Katharina Müllner führt am Pult das Sängerensemble behutsam und gekonnt abgestimmt durch die Oper.
Araber, Kreuze und ein Lustschrei
Volker Blech, Berliner Morgenpost
#KOBCosi
13.03.2023
Così fan tutte: schön singen hier eigentlich alle. … selten hört man Mozart so durchweg gut und so sinnlich
Großartiger Abend: »Cosi fan tutte« in der Komischen Oper
Barbara Wiegand, rbb inforadio
#KOBCosi
13.03.2023
Nadja Mchantaf singt eine berührend-kämpferische Fiordiligi, die in einer jugendlich-stimmigen Besetzung mit Susan Zarrabi (Dorabella), Hubert Zapiór (Guglielmo) und Caspar Singh (Ferrando) umgeben ist.
Flachgelegt auf der Küchenzeile: Serebrennikov inszeniert »Così fan tutte«
Ulrich Amling, Der Tagesspiegel
#KOBCosi
12.03.2023
Das ist höchst unterhaltsam, spannend, amüsant, außerordentlich vielschichtig und sensationell geplant und gespielt. Mozart hätte seine helle Freude gehabt. So sexy, so ironisch und tiefsinnig ist seine Musik, ist da Pontes Story. Hier finden sie ihren Regiemeister und eine brillante Sängertruppe. Zum Niederknien erotisch und bildschön nicht nur anzuhören, sondern auch anzusehen sind Nadja Mchantaf als sich zierende Fiordiligi und Susan Zarrabi als Partymaus Dorabella. Die zwei Intrigantinnen, die alles inszenieren, Günter Papendell als Don Alfonso und Alma Sadé als Despina, stehen ihnen in nichts nach, an ihrer Seite die Verlobten und Enttäuschten Ferrando und Guglielmo. Caspar Singh und Hubert Zapiór werden ebenso frenetisch gefeiert. … Diese Così ist mithin ein Must. Wild, tiefsinnig, sexy, nie vulgär, nie platt aktualisierend.
Sexy, wild und amüsant
Maria Ossowski, rbb24
#KOBCosi