»Ich sehe einen Sieges­zug dieser Oper voraus«

Von Bohémiens und Bür­gern, Barri­kaden und Bor­del­len – von Simon Berger
Unter dem Vorwande, eine Wohltätigkeitsgesellschaft zu stiften, war das Pariser Lumpenproletariat in geheime Sektionen organisiert worden, jede Sektion von einem bonapartistischen Agenten geleitet, an der Spitze ein bonapartistischer General. Neben zerrütteten Roués [Wüstlingen] mit zweideutigen Subsistenzmitteln und von zweideutiger Herkunft, neben verkommenen und abenteuernden Ablegern der Bourgeoisie Vagabunden, entlassene Soldaten, entlassene Zuchthaussträflinge, entlaufene Galeerensklaven, Gauner, Gaukler, Lazzaroni, Taschendiebe, Taschenspieler, Spieler, Maquereaus [Zuhälter], Bordellhalter, Lastträger, Literaten, Orgeldreher, Lumpensammler, Scherenschleifer, Kesselflicker, Bettler, kurz, die ganze unbestimmte, aufgelöste, hin- und hergeworfene Masse,die die Franzosen »labohème« nennen.
Kein Geringerer als der deutsche Philosoph und Journalist Karl Marx (1818–1883) analysierte in seiner Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte den Staatsstreich Louis Napoléon Bonapartes (1808–1873, er war der Neffe Napoléons I.). Am 2. Dezember 1851 hatte dieser die Macht ergriffen und die Errungenschaften der Revolution von 1848/49 hinweggefegt. Deutlich ist in Marx’ Worten jener Groll, ja: die Verachtung hörbar, die er für die Bohème hegte und die er im Deutschen mit dem Wort »Lumpenproletariat« zu bezeichnen pflegte. In Marxens Augen hatte sich diese Schicht keines geringeren Vergehens als des Verrats an der Pariser Arbeiterschaft und ihrer sozialen Revolution schuldig gemacht – indem sich dieses Lumpenproletariat, die Bohème, von der Obrigkeit gegen den Aufstand der Arbeiter kaufen und in Stellung bringen ließ.

La Liberté guidant le peuple

Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen. Im Jahre 1830 war die Julimonarchie des »Bürgerkönigs« Louis-Philippe I. ebenfalls mit einer Revolution eingeleitet worden. Der Leser mag sich einer Ikone jener Julirevolution entsinnen, eines Gemäldes von Eugène Delacroix (1798– 1863). Es zeigt die Allegorie der Freiheit als barbusige Trägerin der damals verbotenen Trikolore beim Sturm auf die Barrikade. Ihr folgt, keineswegs kraftstrotzend begeistert, sondern vielmehr zögernd und skeptisch das Volk. Die Freiheit führt das Volk – das Bild war nur kurz im Palais du Luxembourg zu sehen und verschwand schnell im staatlichen Archiv. Der Bürgerkönig musste erst weichen (im Revolutionsjahr 1848/49), bevor es 1855 anlässlich der Weltausstellung in Paris erneut der Öffentlichkeit präsentiert wurde. Die Revolution des Jahres 1830 sollte bestätigen, was über mindestens 150 Jahre in Europa, vorrangig natürlich in Frankreich und England, zur Überwindung der feudalen Ordnung herbeigedacht und geschrieben worden war. Was in der Großen Französischen Revolution (1789–1799) erstmals erkämpft, mit dem Wiener Kongress (1814/15) zurückgenommen, und nun endgültig durchgesetzt werden sollte: die Herrschaft der Bürger.

Noch einmal Marx, der zum Charakter dieser Herrschaft des Bürgerkönigs den französischen Bankier Jacques Lafitte aus dem Jahre 1830 zitierte:
»Von nun an werden die Bankiers herrschen.« Lafitte hatte das Geheimnis der Revolution verraten. Nicht die französische Bourgeoisie herrschte unter Louis-Philippe,sondern eine »Fraktion«derselben, Bankiers, Börsenkönige, Eisenbahnkönige, Besitzer von Kohlen- und Eisenbergwerken und Waldungen, ein Teil des mit ihnen alliierten Grundeigentums – die sogenannte »Finanzaristokratie«.
Es fällt nicht schwer, sich den »sozialen Sprengstoff«, der unter der Herrschaft der »Finanzaristokratie« in der Gesellschaft heranreifte, vorzustellen. Unter dem zunehmenden Druck explodierte die politische Konstruktion in jener Kettenreaktion revolutionärer Umwälzungen, die den gesamten Kontinent und seine Kolonien in den Jahren um 1848 in Atem hielten. Diese 18 Jahre der »Julimonarchie« (1830–1848) sind es, die den Rahmen für Henri Murgers (1822–1861) Scènes de la vie de bohème abgeben. Auf diesem seinerzeit populären Kolportage-Roman basiert Giacomo Puccinis Oper.

Selbstbild der Künstler als Wan­dernde

Bohème – dieser Name wird seit dem 15. Jahrhundert allgemein für Lebensweisen außerhalb bzw. gegen die gesellschaftliche Norm verwendet. Er leitet sich vom Namen der Landschaft und des Königreichs Böhmen her, dem westlichen Teil des heutigen Tschechien. Mit großer Wahrscheinlichkeit wurden aus Böhmen nach Westeuropa wandernde Roma in Frankreich zunächst als bohémien – also: »aus Böhmen stammend« – bezeichnet. Ihre nomadische Lebensweise, abseits der ihnen fast immer feindlich gesonnenen Mehrheitsgesellschaft, wurde mit dem Begriff identifiziert. Später übertrug man ihn auf all jene Lebensstile, die in »Opposition« zu den als verbindlich erachteten Normen der Gesellschaft standen. In den ersten Übersetzungen von Murgers Scènes de la vie de bohème wurde denn auch die vergleichenden Metapher im Titel beibehalten und mit »… aus dem Zigeunerleben« in die deutsche Sprache übersetzt. Denn der französische Ausdruck war noch nicht zur geläufigen Redewendung geworden. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts trat zur abwertenden Konnotation des Wortes bohème ein positiver, bestätigender Zug hinzu. Es waren vor allem Künstler, die durch Übernahme der Bezeichnung ihr »Leben außerhalb der Gesellschaft« selbstbewusst zur Schau stellten. Doch teilten die westeuropäischen Bohémiens nicht das unstete Leben der Sinti und Roma. Ihrer Selbstbezeichnung lag Fantasie zugrunde. Selbst vielerlei Zwängen ausgesetzt, erfreute man sich an der scheinbaren Freiheit der Minderheit und übertrug diese auf sich selbst als Bohémien. Gemeint war aber vor allem die eigene »Unabhängigkeit« und »Selbstbestimmung«.

Dandys werden Bohémiens

Die Bohémiens hatten Vorläufer, sowohl als Typen in der Literatur als auch im gesellschaftlichen Leben: die Dandys des 18. und 19. Jahrhunderts. Ihrer Herkunft nach meist Aristokraten, pflegten diese gebildeten und wohlhabenden Kinder der Oberschicht Lebensstile der Selbstdarstellung, hegten oftmals künstlerische Ambitionen und verlegten sich aufs Ästhetisieren. Neben Richard »Beau« Nash (1674–1762) gelten George Bryan »Beau« Brummell (1778–1840) und Lord George Byron (1788–1824) als »paradigmatische« Dandys.

Byron war als Schriftsteller der einflussreiche Literat mit dem Ruf eines zwielichtigen, hedonistischen, exzessiven und abenteuerlichen Lebenswandels. In seinen Werken taucht erstmals jener Figurentypus auf, der fürderhin die moderne Literatur prägen wird: der »byronic hero«. Dieser moderne (Anti-)Held verkörpert nicht mehr eine übergeordnete gesellschaftliche Moral und Tugendhaftigkeit, meist erstrebt er nicht einmal mehr ein sittlich gutes oder gerechtes Ziel. Als romantischer Miesepeter kultiviert er intellektualistischen Zynismus, Menschenfeindlichkeit, apathisches Außenseitertum – gehetzt und getrieben flieht er in Kunstwelten, haltlose Liebschaften, Mystizismus, unerfüllte Sehnsüchte oder abgelegene Weltregionen.

Der alte »Held« der Epen tritt so als »überflüssiger Mensch« ins Stadium seiner Verbürgerlichung. Und macht – ganz bürgerlich – Karriere: Von Byron (Childe Harold und Manfred), zu Puschkin (Eugen Onegin), über Lermontow (Grigorij Petschorin) zu den literarischen Schöpfungen von Jane Austen, Emily Brontë, Oscar Wilde, Charles Baudelaire, Thomas Mann, Marcel Proust, Robert Musil, James Joyce und manchen US-amerikanischen Comic-Superhelden wird das Motiv endlos variiert und gestaltet. Der trübe Melancholiker, voller Weltekel und ennui (einer ausnehmend komplizierten Form der Langeweile), ist ein Kind der Aufklärung – und der Aristokratie, zumindest aber der oberen Einkommensklassen des Bürgertums. Bei Murger beispielsweise handelt ein ganzes Kapitel vom Streit Rodolphes mit seinem steinreichen Onkel als Auftraggeber für Gebrauchsprosa (im zweiten Bild von Puccinis Oper erwähnt Rodolfo diesen reichen Onkel kurz im Gespräch mit Mimì). Die Zergliederung der Welt und des eigenen Innenlebens – der Dandy kann sich das leisten und bleibt dabei, fast immer, allein.

Le bohémien en action directe

Ein Jahrhundert lang setzte sich die Bevölkerung der Stadt Paris gegen die Verantwortlichen der allgegenwärtigen Verelendung, nicht nur während der Herrschaft des »Julimonarchen«, zur Wehr. Seinem Roman Les Misérables, der den Juniaufstand 1832 gegen den eingangs erwähnten Louis-Philippe I. in den Mittelpunkt rückt, stellte der Schriftsteller Victor Hugo (1802–1885) ein Wort voran, in dem er als wichtigste drei Probleme des Jahrhunderts »die Entartung des Mannes durch das Proletariat, die Entsittlichung des Weibes infolge materieller Not und die Verwahrlosung des Kindes« benannte. Der im Roman beschriebene Aufstand wurde niedergeschlagen, hunderte Menschen starben.

Das Leben und die Kämpfe der einfachen Leute standen mit dem Leben jener Bohème Murgers in diffusem Zusammenhang. Diese Verbindung fasste der Philosoph, Schriftsteller und Übersetzer Walter Benjamin (1892–1940) in seinem Text Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts in eine Reflexion über die Figur des Flaneurs:
Im Flaneur begibt sich die Intelligenz auf den Markt. Wie sie meint, um ihn anzusehen, und in Wahrheit doch schon, um einen Käufer zu finden. In diesem Zwischenstadium, in dem sie noch Mäzene hat, aber schon beginnt, mit dem Markt sich vertraut zu machen, erscheint sie als bohème. Der Unentschiedenheit ihrer ökonomischen Stellung entspricht die Unentschiedenheit ihrer politischen Funktion. Diese kommt am sinnfälligsten bei den Berufsverschwörern zum Ausdruck, die durchweg der bohème angehören. Ihr anfängliches Arbeitsfeld ist die Armee, später wird es das Kleinbürgertum, gelegentlich das Proletariat. Doch sieht diese Schicht ihre Gegner in den eigentlichen Führern des letztern.
Jene Verschwörer der Bohème waren Produkte der Julimonarchie und der Finanzaristokratie. Einer unter ihnen, Joseph Fieschi (1790–1836) hatte als ehemaliger Soldat Stellung und Einkommen verloren. Und wurde zum Königsmörder. Mit zwei Mitverschwörern konstruierte er eine »Höllenmaschine«, bestehend aus 25 Flintenläufen, die am 28. Juli 1835 auf dem Boulevard du Temple – dem Theaterviertel der Stadt – explodierte. Das Attentat forderte achtzehn Todesopfer; König Louis-Philippe überlebte leichtverletzt. Für ihre Aktion wurden Fieschi und seine Bohémiens mit der Guillotine bestraft.
Nadar: Victor Hugo, 1884

Klassen der Bohème

Henri Murger betont gleich im ersten Satz seiner Vorrede zum Bohème-Buch den edlen Stand dieser Gesellen:
Die Bohémiens, von denen in diesem Buche die Rede ist, haben gar nichts mit jenem Großstadtgesindel zu tun, aus dem sich unsere Boulevarddramatiker ihre Gauner- und Meuchelmördertypen heraussuchen. Sie gehören auch nicht zu jenen Vagabunden, die auf öffentlichen Plätzen als Bärenführer, Säbelschlucker, Verkäufer von diebessicheren Türverschlüssen, Glücksbudenbesitzer und dergleichen ein ebenso interessantes wie für sie selbst einträgliches Gewerbe betreiben.
Oh, nein! Von keinem Geringeren als dem antiken Epiker Homer stammen nach Murger die Künstler der Bohème ab. Was den »Rest« betraf, hätte er sich mit Karl Marx ganz sicher auf dessen Befund einigen können, im Lumpenproletariat vereinige sich schlicht der »Abhuballer Klassen« (Marx). Der Künstler-Bohème entspricht Benjamins »Flaneur« mit Verkaufsinteresse – mit der Bohème der Lumpen verbindet sie nur: die Notwendigkeit des Gelderwerbs. Der spätromantische Lyriker Charles Baudelaire (1821–1867), er wurde von Murger wahrscheinlich in der Figur des Alcindor porträtiert, bestätigte dies in der bekannten Formel: »Was ist die Kunst? – Prostitution.«

Das Spektrum der Bohème reichte von losen Interessensgemeinschaften bis hin zu exklusiven Zirkeln, die freilich (wie könnte es anders sein) schnell von wirtschaftlichen Absichten dominiert wurden. Aus bloßem Kunstwollen und der intellektuellen Avantgarde-Diskussion ist noch nie eine Karriere entstanden, keine Salon-Einladung ergangen, kein Auftrag ins Haus geflattert. In ihrer Lebensweise war die Bohème immer liberal, manche Gruppe erfand sich eigene Kleiderordnungen. Hedonismus, Polygamie und improvisierte Wohnverhältnisse gehörten ebenso dazu wie die, zumindest verbal und im öffentlichen Auftritt, betonte Ablehnung allen Spießertums und bornierter Bürgerlichkeit. Die Kunst der Künstler-Bohémiens bestand weniger im Von-der-Hand-in-den-Mund-Leben. Vielmehr galt es, mit einem Problem zurechtzukommen, das man wohl »Selbstwiderspruch des Marketings« nennen könnte: Das antibürgerliche Auftreten musste wohl oder übel in die Gesellschaft und ihren Wirtschaftskreislauf integriert werden, wollte man nicht einfach unbemerkt verhungern. Murger selbst unterscheidet im Vorwort zu seinen Erzählungen zwei »Klassen« der Bohème: die »unbekannte« und die »bekannte« – wobei er keinen Zweifel lässt, zu welcher Gruppe zu gehören unbedingt erstrebenswert sei. Denn erstere ist vom:
»[…] Geschlecht der ewigen Träumer, denen die Kunst kein Handwerk, sondern eine Religion ist. Sie sind die Enthusiasten, die wahrhaft Gläubigen, die beim Anblick eines großen Kunstwerks erglühen und mit klopfendem Herzen vor allem Schönen stehen, ohne nach dem Namen des Künstlers und seiner Schule zu fragen.«
Die anderen, »bekannten« Bohémiens – es waren fast ausschließlich Männer – motivierte als Ziel der Aufstieg ins Establishment. Viel spricht dafür, dass eine affirmativ beanspruchte Forderung der Bohème zum Gelingen jener »Versöhnung« des nonkonformistischen Anscheins mit der ökonomischen Notwendigkeit beitrug. Dieses Motiv findet sich mutatis mutandis unter den historischen Dandys, bei Stürmern und Drängern, Romantikern, bei Anarchisten, Wandervögeln, Lebensreformern, Beatniks, Hippies, Rockern, Punks und es klingt nach im schalen Glücksversprechen einer »Digitalen Bohème«, und ihrem Arbeitsregime im Takt elektroakustischer Beats: die Freiheit. Die Freiheit führt das Volk an und ist, gewendet zur »Ideologie des Individualismus« (Benjamin), Kern der Selbstdarstellung der Bohémiens, die sich das »Image des Radikalen« geben.

Das freieste aller Bücher

Das wusste auch der im toskanischen Lucca geborene Giacomo Puccini. Seinem Biografen Arnaldo Fraccaroli schilderte er seine Erfahrung der Lektüre von Scènes de la vie de la bohème: Er habe das ihm bis dahin unbekannte Buch von Henri Murger »an einem Regentag« gelesen und war »mit einem Schlag gefangen genommen«. Er fügte hinzu: »Ich hatte ja einige Jahre vorher in Mailand dieses Leben selbst mitgemacht, als ich am dortigen Konservatorium studierte.« Mit diesen Worten allerdings dürfte Puccini ein Wunsch-Selbstbild dargelegt haben, zumindest verlebte er seine Studienjahre »ökonomisch abgesichert«. Auch das Leben im später eingerichteten Refugium in Torre del Lago, Puccini hatte hier am Ufer des Massaciuccoli-Sees eine alte Kneipe zum privaten Treffpunkt hergerichtet, war eher Lifestyle denn wirkliche Bohème. Hier feierte der etablierte Komponist mit seinen Freunden und konzipierte seine späteren Werke. Seine 1896 in Turin uraufgeführte Bohème dürfte ein bedeutender Beitrag auf dem Wege der Verwandlung des Bohème-Begriffs in ein Sortiment intellektueller Sammeltassen gewesen sein.

Die Reaktionen auf diese Uraufführung waren keineswegs euphorisch. Der Kritiker Carlo Bersezio warf dem Komponisten in La Stampa vor, er habe seine Kunst allzu leicht genommen:
So wie »La Bohème« keinen tiefen Eindruck auf das Gemüt der Zuhörer hinterlässt, so wird sie auch keine große Spur in der Geschichte unserer Operntheater hinterlassen, und es wird gut sein, wenn der Autor sie als den Irrtum eines Augenblicks betrachtet […] und sich überzeugt, dass es nur ein kurzes Abirren vom Wege der Kunst war.
Mit dieser Meinung stand der Rezensent keineswegs allein. Die konservative Kritik erregte sich über Puccinis Bruch mit der Operntradition, die Auflösung etablierter Form- und Erzählprinzipien, den angeblichen Mangel an Schönheit der Musik, das »niedere« Sujet. Progressive Kritiker störten sich ihrerseits an der angeblich unpolitischen Haltung des Komponisten. Puccini habe mit seiner Bohème Henri Murgers Vorlage ihrer sozial-realistischen, kritischen Züge beraubt und den Stoff mit »kleinbürgerlicher Ideologie« getränkt.

Kaum einer seiner Kritiker erwähnte die – ohne Übertreibung – geniale handwerkliche Leistung, die Puccini und seine Textdichter Giuseppe Giacosa (1847–1906) und Luigi Illica (1857–1919) erbracht hatten. Die drei arbeiteten nach Manon Lescaut (1893) zum zweiten Mal zusammen. Sehr willensstark mischte sich Puccini mit theaterpraktischen Forderungen in die Arbeit der Autoren ein. Giacosa, der die Verse dichtete, stand mehrfach kurz davor aufzugeben. Jedoch gelang es ihnen schließlich, die reichhaltige und unzusammenhängende Vorlage Murgers zu verdichten und ihr eine neue, bühnenwirksame Gestalt zu verleihen.

In der Vorrede zum Stück schreiben die beiden Autoren, sie hätten sich mit Blick auf Murgers Buch »von dessen eigentlichem Wesen inspirieren« lassen. An der detaillierten Milieu-Schilderung war ihnen gelegen, doch in der Gestaltung der Figuren und Situationen verfuhren sie frei, »um das vielleicht freieste aller Bücher der modernen Literatur auf die Bühne zu übertragen«. Der Untertitel Szenen aus Henri Murgers »La Vie de bohème« in vier Bildern deutet die künstlerische Herausforderung an. Und es gab durchaus auch Kritiker, die diese Leistung erkannten, wie der Autor des Genueser Il Secolo XIX,der seinen Lesern prophezeite:
Ich mag vielleicht ein Optimist sein, aber ich sehe einen Siegeszug dieser Opervoraus […]. Eine klare, einfache, melodische Musik, voller Leidenschaft, eine Musik, die auch auf Anhieb erschüttert und für sich einnimmt und die den Applaus herausfordert, noch ehe der Akt zu Ende ist.

Die feinen Unterschiede

Der oben erwähnte Vorwurf der unpolitischen Haltung Puccinis gegenüber seinen Stoffen wird in der Literatur über den Komponisten und sein Gesamtwerk bis heute gebetsmühlenartig wiederholt. Natürlich unternahmen Puccini und seine Autoren einen Blick zurück in die Geschichte und formten diese zu einem Werk, von dem Heinrich Mann (durchaus anerkennend!) sagte, es biete die »Gelegenheit der menschlichen Schwäche, sich gehenzulassen, sich auszuverkaufen an Instinkte«. Puccini habe dergestalt den Irrationalismus des Imperialistischen Zeitalters vor dem Ersten Weltkrieg zum typisch-irrationalen Kunstwerk des Fin de Siècle gestaltet. Stellt man sich aber einmal gedanklich an die Seite Victor Hugos, wird klar: Die »Zeiten« waren immer irrational, es kommt nur auf den Blickwinkel an. Wäre es aber möglich, dass Puccini einen viel genaueren Blick auf das Leben der Bohème zur Jahrhundertmitte geworfen hat, als es seine im Klangrausch verzückt dahinschmelzenden Bewunderer einerseits und die sozialkritischen Kritiker andererseits erzählen? Und dass ihm sein genauer Blick zu einem Theater der »feinen Unterschiede« verhalf? Stets werden Puccinis klangmalerisches Komponieren, seine Detailverliebtheit betont.

Wenn etwa Rodolfo und Marcello im ersten Bild das Manuskript im Ofen verbrennen, erklingen im Orchester die Pizzicati der Streicher als klingendes Flammenspiel. Der Mondschein am Ende des ersten Aktes wird buchstäblich sichtbar, wenn das »Amor!« Mimìs und Rodolfos in höchsten Höhen von absichtslos wirkenden Harfenlinien umspielt wird. Mit scharfen, dissonanten Terzreihungen setzt Puccini ohne glatten Übergang den städtischen Weihnachtstrubel des folgenden Bildes dieser Zauberwelt der Liebenden entgegen. Geschickt überblendet er verschiedene Chöre, Instrumentengruppen und musikalische Formen zum Gesellschaftsgemälde. Ganze Räume und Naturvorgänge fasst der Komponist in suggestive Klänge, dass man am Beginn des dritten Bildes tatsächlich den Schneefall und die Außentemperatur am frühen Wintermorgen zu verspüren meint, wobei Puccini seinerzeit die Trommelfelle der Bewahrer des Guten und Schönen mit scharfen Quintparallelen durchaus herausforderte. Der Effekt aber lässt die Kälte und den Katzenjammer am Anfang dieses Bildes deutlich hörbar werden. Sollte diese Genauigkeit, so »künstlich« ihr Realitätsbezug auch immer sein mag, tatsächlich vor den Figuren und ihren Themen haltmachen?

Im Stadtbild

Kehren wir zurück auf den bereits erwähnten Boulevard du Temple zur Zeit der Julimonarchie. Denn 1839, vier Jahre nach dem Attentat auf König Louis-Philippe, wurde die Straße erneut Schauplatz eines sensationellen Ereignisses. Vor den Theatern auf dem Boulevard ereignete sich ein Spektakel: Ein Mann stand an einer Straßenecke und wartete. Einen Fuß hatte er vor sich auf ein kleines Podest gestellt, und so stehend wartete er, bis der Schuhputzer vor ihm die Arbeit beendet haben würde. Im selben Augenblick wurden jene beiden – Herr und Knecht – durch Louis Jacques Mandé Daguerre (1787–1851) fototechnisch auf einer versilberten Kupferplatte abgebildet. Der Maler und Erfinder hatte soeben aus dem Fenster seines Ateliers eine Abbildung des Boulevard du Temple angefertigt. Aufgrund der langen Belichtungszeiten (etwa 15 Minuten) der »Daguerreotypie« – so wurde das Verfahren zur Erzeugung der Direktpositivbilder genannt – ist keine menschliche Gestalt auf dem Bild zu sehen. Nur diese beiden Männer hielten lang genug still, um verewigt zu werden. Es heißt, sie wären die ersten jemals »fotografisch« abgebildeten Menschen, wobei der Schuhputzer in der Unruhe seiner Arbeit verschwommener erscheint. Die Erfindung Daguerres, sie war 1837 der Öffentlichkeit vorgestellt worden, kann hier in ihren Folgen – für das soziale Leben, die Wirtschaft, die Geschichte, die Künste, die Ingenieurstätigkeiten, das Gedächtnis der Menschen, das Menschenbild selbst usf. – nicht dargestellt werden: Sie war geradezu »revolutionär« und wurde bis zur Jahrhundertmitte derart weiterentwickelt, dass man auf Papier und Glasnegative Abbilder der Welt herstellen konnte. Schon um 1860 war die Methode veraltet, das Kollodiumverfahren auf nassen Negativplatten hatte sich durchgesetzt. Bald darauf folgte die Ferrotypie, die das Verfahren verbilligte, es wurde auf Wachs-, Gelatine- und Uran-Kollodium-Platten belichtet. Bereits um 1850 konnten – mit erheblichem Aufwand – Aufnahmen in Stadt und Land angefertigt werden. Rasch wurden die Belichtungszeiten verkürzt und das Wort »snapshot« wohl erstmals 1860 von Sir John Herschel in England verwendet – als »Schnappschuss« ging es bald in die deutsche Sprache ein. Zehn Jahre später gelang es dem naturforschenden Fotografen Eadweard Muybridge (1830–1904), mittels Fotobeweises eine Diskussion zu beenden: Bei einem galoppierenden Pferd befinden sich tatsächlich für einen kurzen Moment alle vier Hufe in der Luft.

Muybridge wird zudem der denkwürdige Satz zugeschrieben: »In nicht allzu ferner Zukunft wird man […] eine ganze Oper, mit allen Gesten, Gesichtsausdrücken und Gesängen der Schauspieler sowie der Begleitmusik aufnehmen und mit Hilfe eines Geräts reproduzieren.« (Der Regisseur Max Ophüls schuf 60 Jahre später mit Die verkaufte Braut von Bedřich Smetana den ersten Opernfilm der Geschichte.) Man experimentierte, forschte, normierte und industrialisierte die neue Technik. Erstmals in der Menschheitsgeschichte drängten sich die Gräuel entfernter Katastrophen in die träge Gegenwart; die Fototechnik bot dem europäischen Publikum zum Morgenkaffee die Toten und Verstümmelten der Schlachtfelder des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861–1865) in den Zeitungen dar. Um 1888 patentierte George Eastman (1854–1932) die erste Kodak-Kamera mit Zelluloid-Film, und zur Jahrhundertwende reiste der russische Fotograf Sergej Michailowitsch Prokudin-Gorski (1863–1944) durchs Zarenreich und dokumentierte das Land und seine Bewohner – mittels Farbfotografie. Eines der ersten Fotoateliers in Paris betrieb der Bohémien und Autodidakt Gaspard-Félix Tournachon (1820–1910), genannt Nadar. Mit seinen sensiblen Porträts der künstle-rischen und politischen Prominenz der Zeit wurde er selbst berühmt und zum »Künstlerfotografen«. Ihm verdankt die Nachwelt beeindruckende Bilder, die den Betrachter geradezu in Gespräche mit den fotografierten Schauspielerinnen und Schauspielern, Schriftstellern und Politikern zu verwickeln scheinen, darunter Victor Hugo, Charles Baudelaire, Alphonse de Lamartine, Sarah Bernhardt und Alexandre Dumas.
Louis Daguerre:
Boulevard du Temple, 1839

Angst vorm Verschwinden

Die im Jahr 1837 gegründete Commission nationale des monuments historiques nutzte die neue Technik zu Dokumentationszwecken, denn seit den Tagen des ersten Napoléon wurde die Stadt kontinuierlich umgebaut. Zeitgleich mit der Modernisierung empfanden die Menschen neuartige Gefühle: nostalgische, wehmütige, sentimentale –
die Trauer angesichts der dauernden Veränderung der Welt wurde ein gesellschaftliches Phänomen und gebar eine eigene Literatur der Klage über das Verschwinden des alten, bunten, »echten«, pittoresken Lebens. Einer der meistgehassten Männer der zweiten Jahrhunderthälfte war Präfekt unter Kaiser Napoléon III. und, frei nach Marx, ein menschgewordener Verdampfer alles Ständischen und Stehenden: Georges-Eugène Baron Haussmann (1809–1891). Als der nach ihm benannte Plan zur architektonischen Neugestaltung von Paris nach weniger als 20 Jahren umgesetzt war, hatte man 60 Prozent der Pariser Stadtfläche neugestaltet und über 18.000 Gebäude für den Bau neuer Achsen abgebrochen. Der Chef der Sicherheitspolizei fürchtete in der monotonen Uniformität der neuen Stadt die aufkommende Langeweile als größte Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Der Schriftsteller Victorien Sardou (dessen Erfolgsstück La Tosca Puccini 1900 als Oper auf die Bühne brachte) sprach zu Haussmann beim Blick über die neue Stadt: »Sie haben meine Jugend zerstört!«

Die Fotografen trachteten danach, heute festzuhalten, was morgen verschwunden sein sollte. Zu den bedeutendsten Dokumentar- Fotografen des Vieux Paris, des alten Paris, zählen Charles Marville (1813–1879) sowie der 1927 verstorbene Eugène Atget (*1857), der die Stadt, ihre Menschen, die Bürger, Arbeiter, Schauspieler, Händler, Prostituierten und zwielichtigen Gestalten, ihre Innen- und Außenräume, Türklinken und Stadtmöbel, die neuen Parks und Boulevards minutiös verewigte. Le vieux Paris, in dessen mittelalterlichem Stadtkern die Flaneure »wie in einem Buche lasen«, das Paris der Bohème Murgers war verschwunden. Über die Boulevards ergoss sich nach der Niederschlagung der Commune 1871 das Blut eines Viertels der Pariser Arbeiterschaft, die Taufe der Dritten Republik. So eroberte das Juste-Milieu der Bel Étage seine Belle Époque. Haussmann verteidigte seine Arbeit mit dem Hinweis, niemand würde heute die »Elendsviertel« vermissen oder wolle durch »schändliche Sträßchen laufen« und eine »Stadt voll schrecklicher Kloaken« zurückhaben wollen. Doch der Stadtumbau beantwortete die soziale Frage nicht, sondern verteuerte das Leben im Zentrum. Die Elenden zogen in die östlichen Bezirke und Slums der Peripherie. Die Fotografen bildeten all dies ab: Barrikaden, Bettler und Bordelle; die Künstler malten und verklärten das überall verfügbare Sujet: Frauen. Frauen, die gezwungen waren, sich auf die eine oder andere Weise zu verkaufen.

Grisettes du quartier latin

Entstammte eine Frau jener Zeit, wie Murgers Mimì und deren Freundin Musetta, der gesellschaftlichen Unterschicht, so war die Lebensperspektive eng vorgezeichnet. Sie verdingten sich in Fabriken, als Putzmacherinnen, mit Wascharbeiten oder – wie Mimì – als Näherinnen. Fast immer lebten sie allein. Die Literaten unter den Bohémiens benannten die »Grisettes« (von frz. gris = grau), wenig schmeichelhaft, nach dem derben Stoff ihrer grauen Wollkleider. Oft zogen diese Frauen ins legendäre Quartier Latin, das Universitäts- und Künstlerviertel der Stadt, wo sie Verbindungen zu Studenten und Künstlern suchten; nicht als fröhliche Musen, sondern um dem Absturz in die Karriere einer berufsmäßigen Prostituierten vorzubeugen.

Ein Leben als Primadonna der Prostitution, wie etwa das Violetta Valérys in Alexandre Dumas’ Kameliendame, war freilich möglich – doch die absolute Ausnahme. In der Regel blieb den Frauen der Unterklasse, vertreten waren alle Altersgruppen, kaum eine Wahl. Sie stellten sich auf Straßen, Märkten oder in Massenbordellen zur Verfügung. Zeitgenössische Schriftsteller und Kriminalisten beschrieben jene infernalischen Orte, für die der Jargon eine bildhafte Bezeichnung kannte: »Schlachthäuser«. Das barbarische Wort brachte den Arbeitsakkord, die hygienischen Bedingungen, die Krankheitsbilder – Schwindsucht war ein übliches und nicht das schlimmste Vorkommnis –, die Lebenserwartung und Todesursachen auf den Punkt.
Frau steht rechts neben einer alten Plattenkamera auf der Bühne der Komischen Oper Berlin im Stück La Bohème

Mythos: femme fragile

Der Typus der femme fragile, verkörpert in der kranken Mimì, ist keine Erfindung Puccinis. Gelegentlich heißt es, er habe ihn in den Rang einer modernen Mythengestalt erhoben. Die zerbrechliche, tugendhafte und »reine« Frauenfigur dieser Oper ist von Giacosa und Illica aus der episodisch wiederkehrenden Mimì – sie ist bei Murger weitaus kraftvoller veranlagt – und der Francine des 17. Kapitels zu einer einzigen verbunden. Ihr könne man, so die Librettisten, einen neuen Namen geben: »Ideal«.

Diesem stellten sie eine robuste Freundin gleicher Herkunft an die Seite: Musetta, das Gegenstück, die verführerische und ungreifbare femme fatale. Die femme fragile ist Gegenstand zahlloser Interpretationen geworden, manche Schriftsteller versuchten gar, Puccinis private Psychologie durch seine Frauenfiguren zu analysieren. Das Theater aber interessiert sich nicht dafür – hier entscheidet die Funktion der Figur im Drama. Dass Mimì keine Mythengestalt ist (erst recht keine moderne), wird gleich zu Beginn des Stückes klar.

Eine der ersten unter den vielen bewegenden Szenen im Werk ist die Begegnung Mimìs und Rodolfos im ersten Bild. Nachdem der Dichter sich überschwänglich – in weiten Bögen, vom Orchester ausgreifend begleitet – und durchaus selbstbegeistert vorgestellt hat, antwortet das Mädchen, sie verstehe von Poesie nicht viel. Schlicht rezitativisch ist ihre Beschreibung der eigenen, einfachen Lebensumstände gehalten. Mimì berichtet ohne Schnörkel von ihrer kleinen Dachkammer und ihrer Arbeit des Blumenstickens. Doch da wendet Puccini ihren Tonfall und steigert die folgende Passage ausdrucksvoll. Phrase für Phrase um eine Terz erhöht, beschreibt Mimì ihr Glück, das sie angesichts der ersten Strahlen der Frühlingssonne empfindet. Begeistert erzählt sie, nun mit vollem Orchester, vom Erblühen der eigenen, ihren »ersten Blumen des April«, die auf dem Tisch in ihrem Zimmer stehen. Ebenso rasch bricht die Erregung ab und sie entschuldigt sich, schnell deklamierend, sie wolle Rodolfo nicht weiter stören. Das ganze »Drama« der feinen Unterschiede der Lebenswirklichkeiten ist vom Komponisten in solch fragile Abschnitte, von der Dauer weniger Augenblicke, hineingelegt.
Um Mythos zu sein, müsste Mimì »wie Natur« sein, das ist sie aber nicht – sie spricht nur von ihr, als Kind ihrer Zeit, ihrer Lebensumstände.

Diese Szene, wie auch das ganze Stück, haben die Autoren in einer Weise gestaltet, die man die »Methode der erzählenden Lücke« nennen könnte. Die großen Konfliktpotentiale, die der Stoff bietet und die in der Begegnung ganz unterschiedlicher Lebenswelten eskalieren können, sind in die individuellen Äußerungen der Figuren verwoben. Sie werden nicht offen im Dialog verhandelt. Wie sich die Lebenserfahrung der beiden Figuren unterscheidet, so auch die Themen ihrer Rede und die Weise, in der Puccini die emotionalen Höhepunkte ihrer Sätze gestaltet und plötzlich abbrechen lässt. So formt er den emotionalen Einsatz der jeweiligen Situation, sodass der Hörer schließlich meint, es wären »die Gefühle selbst«, die hier einander ganz unverstellt begegneten. Das Ganze der Konfrontation jener fremden Welten vollzieht sich schließlich in jener »Fülle des Wohllautes« (Thomas Mann), welche die Hörerschaft bezaubert.

Aus den Zufälligkeiten eines Weihnachtsabends entwickelten Puccini und seine Autoren lose verbundene Stationen, die sich erst ganz am Schluss zu einer Erzählung, einer dramatischen Handlung, fügen. Mit seinen Librettisten sowie dem Verleger Giulio Ricordi debattierte Puccini heftig über das vierte Bild der Oper. Hier hatten Giacosa und Illica, vor dem letzten Auftritt Musettas und Mimìs, ein »Trinklied« für die Figur des Schaunard vorgesehen. Es kostete Puccini einige Anstrengung, diesen Plan zu verhindern:
Ich habe mich nach langer und reiflicher Überlegung zu dem Entschluss durchgerungen, das Trinklied wegzulassen! […] So ist es wirksam ohne viel Schwätzerei, und wir gelangen umso schneller zum Ziel des vierten Aktes: Mimìs Tod.

Ein Ende mit Schrecken

Die Bemerkung unterstreicht nicht nur Puccinis Verständnis für Proportion und rechtes Timing – die Frauenfigur selbst ist es, der für den wirkungsvollen Abschluss entscheidende Bedeutung zukommt. Die Szene ihres Todes ruft immer Erschütterung hervor. Gehaltene Akkorde in den Streichern und darüber eine Klarinette suggerieren Ruhe, aller Gesang ist ins stockende Sprechen übergegangen. Während wir sehen, dass seine Freunde bereits wissen, was geschehen ist, braucht Rodolfo noch einen Augenblick. Da künden Fanfarenklänge schon vom Unabänderlichen, und dann hat auch Rodolfo es begriffen: Jetzt ist es zu spät. Nie mehr wird das Liebesglück zurückkehren. Zweimal noch ruft Rodolfo Mimìs Namen, im Orchester folgt dem Sänger eine melodische Linie, die sich aufwirft und dann verlischt. Leer, gleichwohl unerbittlich, schreiten die e-Moll-Akkorde der Schlusssequenz voran, trostlos fast, als würde der Komponist fragen: »Jetzt also kümmern dich die anderen?«
Januar 2025
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Sa
11.
Jan
19:30
Wieder da!
Giacomo Puccini
Schillertheater – Großer Saal
Im Anschluss
After Show Lounge
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Fr
17.
Jan
19:30
Giacomo Puccini
Schillertheater – Großer Saal
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
So
19.
Jan
16:00
Giacomo Puccini
Schillertheater – Großer Saal
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Fr
24.
Jan
19:00
Giacomo Puccini
Schillertheater – Großer Saal
https://www.komische-oper-berlin.de/ Komische Oper Berlin Bismarckstraße 110, 10625 Berlin
Fr
31.
Jan
19:00
Zum letzten Mal in dieser Spielzeit!
Giacomo Puccini
Schillertheater – Großer Saal

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