© Monika Rittershaus
Verboten komisch
Nach Così fan tutte, »brillant-temporeich, slapstick-nah und zugleich abgründig« [SÜDDEUTSCHE ZEITUNG], bringt Regisseur Kirill Serebrennikov mit Le nozze di Figaro den zweiten Teil seines Mozart-Da-Ponte-Zyklus auf die Bühne der Komischen Oper Berlin. Unsere Dramaturgin Julia Jordá hat vor der Premiere mit ihm über seine Inszenierung gesprochen.
Letztes Jahr Così fan tutte, nächstes Jahr Don Giovanni: Welchen Platz nimmt Le nozze di Figaro in dieser Mozart-Da-Ponte-Trilogie ein?
Kirill Serebrennikov Ich denke, man wird das erst nächstes Jahr mit Sicherheit sagen können, wenn die Trilogie abgeschlossen ist. (lacht) Dass die Oper die Bildsprache von Così fan tutte fortsetzt, merkt man aber jetzt schon, und zwar am Bühnenbild. In Così fan tutte, wo sich die Handlung um den Gegensatz von Mann und Frau dreht und es einen Geschlechterkrieg gibt, ist die Bühne in zwei gleichwertige Ebenen aufgeteilt. In Le nozze di Figaro ist diese Aufteilung ungleich: Es gibt eine geräumige und gleichzeitig spärlich ausgestattete obere Ebene, die von Vertreter:innen der Oberschicht beherrscht wird, und eine beengte untere Ebene, die durch die Diener:innen dieser Oberschicht besetzt ist.
Kirill Serebrennikov Ich denke, man wird das erst nächstes Jahr mit Sicherheit sagen können, wenn die Trilogie abgeschlossen ist. (lacht) Dass die Oper die Bildsprache von Così fan tutte fortsetzt, merkt man aber jetzt schon, und zwar am Bühnenbild. In Così fan tutte, wo sich die Handlung um den Gegensatz von Mann und Frau dreht und es einen Geschlechterkrieg gibt, ist die Bühne in zwei gleichwertige Ebenen aufgeteilt. In Le nozze di Figaro ist diese Aufteilung ungleich: Es gibt eine geräumige und gleichzeitig spärlich ausgestattete obere Ebene, die von Vertreter:innen der Oberschicht beherrscht wird, und eine beengte untere Ebene, die durch die Diener:innen dieser Oberschicht besetzt ist.
Le nozze di Figaro
Opera buffa in vier Akten [1786]
Libretto von Lorenzo Da Ponte,
basierend auf der Komödie La Folle Journée, ou le Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Libretto von Lorenzo Da Ponte,
basierend auf der Komödie La Folle Journée, ou le Mariage de Figaro von Pierre-Augustin Caron de Beaumarchais
Wie sind die Machtverhältnisse am Anfang und am Ende der Oper?
KS Macht … das ist ein sehr weit gefasstes Wort. Mich fasziniert schon lange Augustin de Beaumarchais’ Stück Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit, denn es entlarvt die herrschende Klasse und die Grundlagen ihrer Macht. Nachdem König Ludwig XVI. das Manuskript dazu 1782 gelesen hatte, erklärte er, dass eher die Bastille fällt, als dass er die Aufführung zuließe. Nur sieben Jahre später wurde die Bastille dem Erdboden gleichgemacht. Lorenzo Da Ponte hat jedoch als Hoflibrettist und Opportunist alles getan, um die Machtkritik im Libretto abzumildern, und Mozart hat sich mehr zu den persönlichen, psychologischen Aspekten der menschlichen Natur hingezogen gefühlt als zu den sozialen und politischen Themen. Und da im Operngenre die Bedeutung gerade durch die Musik und nicht durch die literarische Quelle bestimmt wird, ist Le nozze di Figaro mehr als nur eine Geschichte über die Umverteilung der Macht oder den Klassenkampf.
KS Macht … das ist ein sehr weit gefasstes Wort. Mich fasziniert schon lange Augustin de Beaumarchais’ Stück Der tolle Tag oder Figaros Hochzeit, denn es entlarvt die herrschende Klasse und die Grundlagen ihrer Macht. Nachdem König Ludwig XVI. das Manuskript dazu 1782 gelesen hatte, erklärte er, dass eher die Bastille fällt, als dass er die Aufführung zuließe. Nur sieben Jahre später wurde die Bastille dem Erdboden gleichgemacht. Lorenzo Da Ponte hat jedoch als Hoflibrettist und Opportunist alles getan, um die Machtkritik im Libretto abzumildern, und Mozart hat sich mehr zu den persönlichen, psychologischen Aspekten der menschlichen Natur hingezogen gefühlt als zu den sozialen und politischen Themen. Und da im Operngenre die Bedeutung gerade durch die Musik und nicht durch die literarische Quelle bestimmt wird, ist Le nozze di Figaro mehr als nur eine Geschichte über die Umverteilung der Macht oder den Klassenkampf.
© Milena Schönfeldt
In der oberen Ebene finden sich einige Objekte zeitgenössischer Kunst …
KS Zeitgenössische Kunst ist für mich eine Möglichkeit, immaterielle Konzepte (meist Angst, Spannung, Einsamkeit oder Phobie …) zu visualisieren und in materielle und gleichzeitig metaphorische Objekte zu verwandeln. Außerdem zeigt sie das, was im Moment relevant ist – deshalb heißt sie ja auch »zeitgenössisch«. Soziolog:innen und Philosoph:innen wie Jean Baudrillard und Guy Debord sehen zeitgenössische Kunst als kommerzielles Produkt, als Element der »Konsumgesellschaft«. Das Vorhandensein eines zeitgenössischen Kunstwerks in einer Wohnung sagt mehr über den Status seiner Besitzer:innen aus als über die Wohnung selbst. Je höher der Preis eines Kunstwerks, desto höher wird der Status des oder der Besitzer:in eingeschätzt. Bei Beaumarchais und Da Ponte wurde der Status des Grafen Almaviva durch das »Recht der ersten Nacht« symbolisiert; in dieser Inszenierung wird der Status des Grafen durch den Besitz von schier unbezahlbaren Kunstwerken vermittelt.
Das »Recht der ersten Nacht«, ein veraltetes und gewaltvolles Recht des Adels …
KS Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Genre der Oper heute eine tiefgreifende Überarbeitung seitens der Regie und der Dramaturgie erfordert, wenn wir uns nicht nur mit der Rekonstruktion der Bedeutungen von vor 200 oder 300 Jahren beschäftigen wollen. Ich bin nicht gegen historische Inszenierungen, aber die meisten der heute beliebten und populären Opern wurden nah am Puls ihrer Zeit geschrieben. Sie waren ein Werk der damals zeitgenössischen Kunst, und die kraftvolle Botschaft der Autoren führte nicht selten zum Skandal oder schockierte das Publikum. Unsere Aufgabe ist es, die Oper neu zu definieren und sie in das moderne Leben zu integrieren.
KS Zeitgenössische Kunst ist für mich eine Möglichkeit, immaterielle Konzepte (meist Angst, Spannung, Einsamkeit oder Phobie …) zu visualisieren und in materielle und gleichzeitig metaphorische Objekte zu verwandeln. Außerdem zeigt sie das, was im Moment relevant ist – deshalb heißt sie ja auch »zeitgenössisch«. Soziolog:innen und Philosoph:innen wie Jean Baudrillard und Guy Debord sehen zeitgenössische Kunst als kommerzielles Produkt, als Element der »Konsumgesellschaft«. Das Vorhandensein eines zeitgenössischen Kunstwerks in einer Wohnung sagt mehr über den Status seiner Besitzer:innen aus als über die Wohnung selbst. Je höher der Preis eines Kunstwerks, desto höher wird der Status des oder der Besitzer:in eingeschätzt. Bei Beaumarchais und Da Ponte wurde der Status des Grafen Almaviva durch das »Recht der ersten Nacht« symbolisiert; in dieser Inszenierung wird der Status des Grafen durch den Besitz von schier unbezahlbaren Kunstwerken vermittelt.
Das »Recht der ersten Nacht«, ein veraltetes und gewaltvolles Recht des Adels …
KS Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das Genre der Oper heute eine tiefgreifende Überarbeitung seitens der Regie und der Dramaturgie erfordert, wenn wir uns nicht nur mit der Rekonstruktion der Bedeutungen von vor 200 oder 300 Jahren beschäftigen wollen. Ich bin nicht gegen historische Inszenierungen, aber die meisten der heute beliebten und populären Opern wurden nah am Puls ihrer Zeit geschrieben. Sie waren ein Werk der damals zeitgenössischen Kunst, und die kraftvolle Botschaft der Autoren führte nicht selten zum Skandal oder schockierte das Publikum. Unsere Aufgabe ist es, die Oper neu zu definieren und sie in das moderne Leben zu integrieren.
© Monika Rittershaus
Ist diese Opera buffa denn komisch?
KS Hannah Arendt sagte, dass Lachen die mächtigste Waffe sei, um Autorität zu untergraben. Der Zweck von Beaumarchais’ Hochzeit des Figaro war nicht, die Menschen zum Lachen zu bringen, sondern etwas sehr Starkes und sogar Gefährliches in ihnen zu wecken. Aus diesem Grund wurde das Stück verboten. Nachdem man über die Situationskomik in den sitcomhaften Szenen gelacht hatte, in der zum Beispiel der Graf einen Pagen in einem Sessel entdeckt oder die Gräfin und ihre Zofe die Kleider tauschen, ging die Gesellschaft sehr bald dazu über, den Königen die Köpfe abzuschlagen. Le nozze di Figaro ist also nicht besonders komisch. Für mich ist Musik im Allgemeinen keine komische Sache. Musik kann mit dem Ewigen sprechen, mit Gefühlen, mit Ängsten, mit Glück oder Schmerz, und sie kann uns auch zum Lächeln bringen. Aber Musik bringt mich nicht zum Lachen. Das ist eher der Job der Regie. Ich kann nur sagen, dass die Witze in dieser Inszenierung mit Sicherheit nicht mit den von Mozart und Da Ponte festgelegten Pointen übereinstimmen werden.
Spürt Figaro den vorrevolutionären Geist oder handelt er aus Liebe?
KS Die Figaros von Beaumarchais und Mozart/Da Ponte sind sehr unterschiedlich. Da Ponte hat Figaros – bei Beaumarchais zentrale – Anprangerung der herrschenden Klasse gestrichen. Stattdessen gibt er ihm die Arie »Aprite un poʼ quegli occhi« über den Verrat der Frauen, in der er sich nicht scheut, einige fast schmähliche Ausdrücke zu verwenden. Figaro ist hier kein junger Mann mehr, und seine Ambitionen sind dem Wunsch nach Familie gewichen. Eine Hochzeit ist für ihn ein bedeutender Schritt, zu dem er sich offenbar nach reiflicher Überlegung entschlossen hat. Einst mag er ein Liebhaber und Meister des Intrigenspiels gewesen sein, aber für ihn ist es kein Sport oder Lebensstil mehr, sondern eine erzwungene, verzweifelte Maßnahme, die er ergreift, um seine bevorstehende Ehe zu retten.
Susanna ist diejenige, die es wirklich versteht, sich aus allen Problemen herauszuwinden und der Situation mehrere Schritte voraus zu sein. Das sehen wir gleich in der ersten Szene, in der sie Figaro erklärt, was das Hochzeitsgeschenk des nach ihr lüstenden Grafen eigentlich bedeutet. Übrigens hat Susannas Figur ein breiteres und deutlich vielfältigeres Musikmaterial, und daher sticht sie für mich als Hauptfigur der Oper hervor. Sie ist pragmatischer, intelligenter und gerissener als ihr Verlobter. Im Allgemeinen erringen die Frauen in dieser Oper ausnahmslos – im Gegensatz zu Così fan tutte – einen Sieg über die Männer, und das ist toll.
Wie ist die Figur der Cherubina entstanden und warum ist Cherubino gehörlos geworden?
KS Für mich ist Cherubino das sexuelle Zentrum der Oper, ihr Puls, der für emotionale Intensität und einige überkochende Szenen sorgt. Wie lässt sich diese fast unwiderstehliche sexuelle Energie mit der von Mozart vorgegebenen Realität verbinden, in der diese Rolle einer Mezzosopranistin anvertraut wird? Wie kann ich wirklich an Cherubinos sexuelle Ausstrahlung glauben, wenn ich auf der Bühne eine Frau sehe, die gezwungen ist, ihre Brüste zu straffen, eine kurze Perücke zu tragen und – in der Regel – in einen absurd sitzenden Männeranzug gekleidet wird, die also, statt sich zu befreien und zu öffnen, im Gegenteil gezwungen ist, sich hinter einer Maske des anderen Geschlechts zu verstecken? Im 18. Jahrhundert, als Frauen weite Röcke trugen und nicht einmal ihre Knöchel zeigen durften, hatte diese Darstellung einer Frau in Männerkleidung eine starke und ungewöhnliche sexuelle Wirkung auf das Publikum.
Unser Cherubino, dem die Lautsprache als zugänglichstes Kommunikationsmittel fehlt (seine Gebärdensprache versteht nur Cherubina, die diese Sprache aus Liebe zu ihm gelernt hat), hat keine andere Möglichkeit, sich auszudrücken, als durch den Körper. Und der Körper, mit seinem Schweiß und Blut, lügt nie.
Cherubina indes beschattet Cherubino und ist seine Antithese. Während sie in den Arien insbesondere Cherubinos Gedanken und Wünsche mit rein musikalischen Mitteln ausdrückt, manifestiert sie in den Rezitativen und in der Inszenierung hingegenihre eigenständige Rolle, und wir schaffen damit ein weiteres Beispiel für die Beziehung zwischen Mann und Frau: Wir haben ein Paar, bei dem die Liebe für immer verloren zu gehen droht (Gräfin und Graf), ein Paar, das heiratet und gleichzeitig in eine tiefe Krise gerät (Susanna und Figaro), ein Paar, das sich vor langer Zeit getrennt hat, aber eine zweite Chance durch Entdeckung ihres verschwunden geglaubten Sohns erhält (Marcellina und Bartolo) und schließlich Cherubina und Cherubino, die als sehr junge Menschen unter unerwiderter Liebe leiden, dazulernen und zunehmend ihre Verantwortung füreinander erkennen.
KS Hannah Arendt sagte, dass Lachen die mächtigste Waffe sei, um Autorität zu untergraben. Der Zweck von Beaumarchais’ Hochzeit des Figaro war nicht, die Menschen zum Lachen zu bringen, sondern etwas sehr Starkes und sogar Gefährliches in ihnen zu wecken. Aus diesem Grund wurde das Stück verboten. Nachdem man über die Situationskomik in den sitcomhaften Szenen gelacht hatte, in der zum Beispiel der Graf einen Pagen in einem Sessel entdeckt oder die Gräfin und ihre Zofe die Kleider tauschen, ging die Gesellschaft sehr bald dazu über, den Königen die Köpfe abzuschlagen. Le nozze di Figaro ist also nicht besonders komisch. Für mich ist Musik im Allgemeinen keine komische Sache. Musik kann mit dem Ewigen sprechen, mit Gefühlen, mit Ängsten, mit Glück oder Schmerz, und sie kann uns auch zum Lächeln bringen. Aber Musik bringt mich nicht zum Lachen. Das ist eher der Job der Regie. Ich kann nur sagen, dass die Witze in dieser Inszenierung mit Sicherheit nicht mit den von Mozart und Da Ponte festgelegten Pointen übereinstimmen werden.
Spürt Figaro den vorrevolutionären Geist oder handelt er aus Liebe?
KS Die Figaros von Beaumarchais und Mozart/Da Ponte sind sehr unterschiedlich. Da Ponte hat Figaros – bei Beaumarchais zentrale – Anprangerung der herrschenden Klasse gestrichen. Stattdessen gibt er ihm die Arie »Aprite un poʼ quegli occhi« über den Verrat der Frauen, in der er sich nicht scheut, einige fast schmähliche Ausdrücke zu verwenden. Figaro ist hier kein junger Mann mehr, und seine Ambitionen sind dem Wunsch nach Familie gewichen. Eine Hochzeit ist für ihn ein bedeutender Schritt, zu dem er sich offenbar nach reiflicher Überlegung entschlossen hat. Einst mag er ein Liebhaber und Meister des Intrigenspiels gewesen sein, aber für ihn ist es kein Sport oder Lebensstil mehr, sondern eine erzwungene, verzweifelte Maßnahme, die er ergreift, um seine bevorstehende Ehe zu retten.
Susanna ist diejenige, die es wirklich versteht, sich aus allen Problemen herauszuwinden und der Situation mehrere Schritte voraus zu sein. Das sehen wir gleich in der ersten Szene, in der sie Figaro erklärt, was das Hochzeitsgeschenk des nach ihr lüstenden Grafen eigentlich bedeutet. Übrigens hat Susannas Figur ein breiteres und deutlich vielfältigeres Musikmaterial, und daher sticht sie für mich als Hauptfigur der Oper hervor. Sie ist pragmatischer, intelligenter und gerissener als ihr Verlobter. Im Allgemeinen erringen die Frauen in dieser Oper ausnahmslos – im Gegensatz zu Così fan tutte – einen Sieg über die Männer, und das ist toll.
Wie ist die Figur der Cherubina entstanden und warum ist Cherubino gehörlos geworden?
KS Für mich ist Cherubino das sexuelle Zentrum der Oper, ihr Puls, der für emotionale Intensität und einige überkochende Szenen sorgt. Wie lässt sich diese fast unwiderstehliche sexuelle Energie mit der von Mozart vorgegebenen Realität verbinden, in der diese Rolle einer Mezzosopranistin anvertraut wird? Wie kann ich wirklich an Cherubinos sexuelle Ausstrahlung glauben, wenn ich auf der Bühne eine Frau sehe, die gezwungen ist, ihre Brüste zu straffen, eine kurze Perücke zu tragen und – in der Regel – in einen absurd sitzenden Männeranzug gekleidet wird, die also, statt sich zu befreien und zu öffnen, im Gegenteil gezwungen ist, sich hinter einer Maske des anderen Geschlechts zu verstecken? Im 18. Jahrhundert, als Frauen weite Röcke trugen und nicht einmal ihre Knöchel zeigen durften, hatte diese Darstellung einer Frau in Männerkleidung eine starke und ungewöhnliche sexuelle Wirkung auf das Publikum.
Unser Cherubino, dem die Lautsprache als zugänglichstes Kommunikationsmittel fehlt (seine Gebärdensprache versteht nur Cherubina, die diese Sprache aus Liebe zu ihm gelernt hat), hat keine andere Möglichkeit, sich auszudrücken, als durch den Körper. Und der Körper, mit seinem Schweiß und Blut, lügt nie.
Cherubina indes beschattet Cherubino und ist seine Antithese. Während sie in den Arien insbesondere Cherubinos Gedanken und Wünsche mit rein musikalischen Mitteln ausdrückt, manifestiert sie in den Rezitativen und in der Inszenierung hingegenihre eigenständige Rolle, und wir schaffen damit ein weiteres Beispiel für die Beziehung zwischen Mann und Frau: Wir haben ein Paar, bei dem die Liebe für immer verloren zu gehen droht (Gräfin und Graf), ein Paar, das heiratet und gleichzeitig in eine tiefe Krise gerät (Susanna und Figaro), ein Paar, das sich vor langer Zeit getrennt hat, aber eine zweite Chance durch Entdeckung ihres verschwunden geglaubten Sohns erhält (Marcellina und Bartolo) und schließlich Cherubina und Cherubino, die als sehr junge Menschen unter unerwiderter Liebe leiden, dazulernen und zunehmend ihre Verantwortung füreinander erkennen.
© Monika Rittershaus
Wie in Così fan tutte gibt es in dieser Inzenierung erneut Schattenfiguren – Dopplungen der Hauptfiguren?
KS Ich habe mit dem Prinzip des Splittings in der Oper schon vor Così fan tutte begonnen. Es beschäftigt mich als künstlerisches Mittel schon seit langem. In der Oper stimmen Körper und Stimme oft nicht überein, auch nicht auf physiologischer Ebene: Um zum Beispiel in einer Arie, die einen friedlichen Gemütszustand vermittelt, eine sanfte, kantilenenhafte Melodie zu singen, wird den Sänger:innen eine große körperliche Anstrengung abverlangt. Momente der Freude oder des Glücks werden oft durch Koloraturen und Sprünge dargestellt, die man unmöglich singen oder halten kann, wenn man lächelt. Die Oper enthält von Anfang an zu viele Konventionen: Es wird nicht gesprochen, sondern gesungen; die Zeit fließt anders; die Reaktionen auf Worte sind nicht mit gewöhnlichen Reaktionen vergleichbar, weil die Sänger:innen dieselben Worte in einer Arie mehrmals wiederholen können oder zwei, drei, vier Sänger gleichzeitig singen; die Sänger:innen können nicht lange mit dem Rücken zum Publikum singen, denn das gefährdet das Zusammenspiel mit dem Orchester, und so weiter. Insgesamt entsteht eine ganze Kaskade von Konventionen, die die Zuschauer:innen zum Kompromiss auffordern. Dieser Kompromiss nimmt den Zuschauenden mehr und mehr den Glauben an das, was auf der Bühne geschieht, an die Wahrheit, ohne die ich mir die Theaterkunst nicht vorstellen kann. Ich spreche nicht von der alltäglichen Wahrheit, sondern von der künstlerischen Wahrheit, die für jede Generation und jede Epoche anders aussehen kann, die aber definitiv existiert. Und die Aufgabe von Künstler:innen ist es, diese Wahrheit zu suchen oder ihr zumindest näher zu kommen.
KS Ich habe mit dem Prinzip des Splittings in der Oper schon vor Così fan tutte begonnen. Es beschäftigt mich als künstlerisches Mittel schon seit langem. In der Oper stimmen Körper und Stimme oft nicht überein, auch nicht auf physiologischer Ebene: Um zum Beispiel in einer Arie, die einen friedlichen Gemütszustand vermittelt, eine sanfte, kantilenenhafte Melodie zu singen, wird den Sänger:innen eine große körperliche Anstrengung abverlangt. Momente der Freude oder des Glücks werden oft durch Koloraturen und Sprünge dargestellt, die man unmöglich singen oder halten kann, wenn man lächelt. Die Oper enthält von Anfang an zu viele Konventionen: Es wird nicht gesprochen, sondern gesungen; die Zeit fließt anders; die Reaktionen auf Worte sind nicht mit gewöhnlichen Reaktionen vergleichbar, weil die Sänger:innen dieselben Worte in einer Arie mehrmals wiederholen können oder zwei, drei, vier Sänger gleichzeitig singen; die Sänger:innen können nicht lange mit dem Rücken zum Publikum singen, denn das gefährdet das Zusammenspiel mit dem Orchester, und so weiter. Insgesamt entsteht eine ganze Kaskade von Konventionen, die die Zuschauer:innen zum Kompromiss auffordern. Dieser Kompromiss nimmt den Zuschauenden mehr und mehr den Glauben an das, was auf der Bühne geschieht, an die Wahrheit, ohne die ich mir die Theaterkunst nicht vorstellen kann. Ich spreche nicht von der alltäglichen Wahrheit, sondern von der künstlerischen Wahrheit, die für jede Generation und jede Epoche anders aussehen kann, die aber definitiv existiert. Und die Aufgabe von Künstler:innen ist es, diese Wahrheit zu suchen oder ihr zumindest näher zu kommen.
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Das ist höchst unterhaltsam, spannend, amüsant, außerordentlich vielschichtig und sensationell geplant und gespielt. Mozart hätte seine helle Freude gehabt. So sexy, so ironisch und tiefsinnig ist seine Musik, ist da Pontes Story. Hier finden sie ihren Regiemeister und eine brillante Sängertruppe. Zum Niederknien erotisch und bildschön nicht nur anzuhören, sondern auch anzusehen sind Nadja Mchantaf als sich zierende Fiordiligi und Susan Zarrabi als Partymaus Dorabella. Die zwei Intrigantinnen, die alles inszenieren, Günter Papendell als Don Alfonso und Alma Sadé als Despina, stehen ihnen in nichts nach, an ihrer Seite die Verlobten und Enttäuschten Ferrando und Guglielmo. Caspar Singh und Hubert Zapiór werden ebenso frenetisch gefeiert. … Diese Così ist mithin ein Must. Wild, tiefsinnig, sexy, nie vulgär, nie platt aktualisierend.
Sexy, wild und amüsant
Maria Ossowski, rbb24
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#KOBCosi