© Monika Rittershaus
Mit Hamlet auf Augenhöhe
Warum Thomas Ambroise in seiner Oper Hamlet Orphélie in den Stand der zweiten Hauptfigur erhebt, wie Regisseurin Nadja Loscky dem Grotesken der Tragödie neues Gewicht verleiht und warum das Werk eine neue Operngattung ins Leben rief – das Wichtigste in Kürze.
Uraufführung
Die Uraufführung von Ambroise Thomas’ Hamlet fand am 9. März 1868 an der Pariser Oper statt. Während die Oper im ausgehenden 19. Jahrhundert weltweit auf den Spielplänen zu finden war, ließ der Erfolg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich nach. Erst in den 1960er Jahren wurde Hamlet wiederentdeckt.
Profi mit neun Jahren
Der französische Komponist Ambroise Thomas wurde 1811 in eine musikalische Familie hineingeboren. In Violine und Klavier von seinen Eltern unterrichtet, galt Thomas bereits mit neun Jahren als professioneller Musiker. Nach seinem Durchbruch als Opernkomponist in den 1850ern unterrichtete er als Direktor und Professor am Pariser Konservatorium unter anderem Jules Massenet. Seine beiden erfolgreichsten Opern Mignon und Hamlet brachten ihm ein Jahrzehnt später internationalen Erfolg ein.
Im 19. Jahrhundert Trend: Shakespeare
Shakespeare-Dramen für die Oper zu adaptieren war in Frankreich Mitte des 19. Jahrhunderts in Mode gekommen. Demzufolge orientierte Ambroise Thomas sich mit Hamlet als Stoffvorlage an den Trends seiner Zeit. In Thomas’ Oper Le Songe d’une nuit d’été (Ein Sommernachtstraum) tritt Shakespeare sogar selbst als Figur auf.
Orphélie auf Augenhöhe mit Hamlet
Das Libretto von Michel Carré und Jules Barbier basiert auf der Adaption von William Shakespeares Hamlet von Alexandre Dumas dem Älteren und François Paul Meurice. Der französischen Bearbeitung folgend erheben die beiden Librettisten in der Operndramaturgie Ophélie zur gleichberechtigten Hauptfigur neben Hamlet und übernehmen das Ende, in dem Hamlet zum König ausgerufen wird.
Jeder Figur eine eigene Klangwelt
In seiner differenzierten Instrumentation ordnet Thomas nicht nur Instrumente bestimmten Figuren zu – Flöte und Harfe stehen beispielsweise für Ophélie –, sondern kreiert eigene Klangwelten wie die schaurige Atmosphäre beim Auftritt des Geistes. Eine Neuerung im Orchester ist das Saxophon, welches Thomas als einer der ersten Komponisten in eine Oper integrierte. In Kombination mit dem Englischhorn trägt das Baritonsaxophon zur unheimlichen Klangsphäre des Geistes bei.
Neue Operngattung Drame lyrique
Mit der Konzentration auf zwei Hauptfiguren und der im Zentrum stehenden Intrige als handlungsauslösende Kraft trug Thomas’ Hamlet zur Entwicklung der Operngattung Drame lyrique bei. Der ausladende Aufbau von fünf Akten mit einem umfangreichen Ballett und die üppigen Ensembleszenen hingegen stehen in der Tradition der Grand Opéra.
Groteske Komik im Tragischen
Dass das Groteske in Verbindung mit dem Tragischen eine essentielle Zutat von Shakespeares Dramen ist, stellte bereits Ambroise Thomas’ Zeitgenosse Victor Hugo 1827 fest. Diese grotesk-komischen Elemente in Hamlet hebt Nadja Loschky hervor und lässt somit die erhabene Fassade des dänischen Hofes bröckeln, was sich nicht zuletzt auch in Etienne Pluss’ Bühnenbild widerspiegelt.
Yorick auf den Spuren von »Was ihr wollt«
Das tragikomische Element spiegelt sich in Shakespeares Dichtung häufig in der Figur des Narren. Nadja Loschky stellt Hamlet den Narren Yorick aus dem Original zur Seite und eröffnet mit ihm auch ihre Inszenierung. Er stimmt das Lied des Narrens Feste »When that I was and a little tiny boy« aus Shakespeares Was ihr wollt an.
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