© Monika Rittershaus
Ein Märchen nicht von dieser Welt
Ein Gespräch mit Regisseur und Bühnenbildner Herbert Fritsch und Dirigent Dirk Kaftan über die Leichtigkeit in Wagners Der Fliegende Holländer seinen Erfindergeist sowie der Relevanz eines Spielzeugboots...
Richard Wagner hat die Erlebnisse einer stürmischen Seereise von Riga nach London im Jahr 1839, die ihm bei der Komposition in den Knochen steckte, als Entstehungsmythos seiner romantischen Oper Der fliegende Holländer in den Vordergrund gerückt. Legte Wagner nur Todessehnsucht und Düsterheit in die Oper oder gibt es auch Lustiges und Leichtes?
Dirk Kaftan Ich habe die schwedische und norwegische Küste bei der Meeresenge Skagerrak selbst mit meinem Segelboot besucht. Der Eindruck der dortigen Fjorde und des Echos, das von den Felsenwänden widerhallt, der wilden Brandung und auch des Südwestwinds, der zehn Meter hohe Wellen aufbaut, ist überwältigend. Plötzlich wird die Anfangssituation der Oper nachvollziehbar: Der Steuermann singt davon, alles im Griff zu haben, man merkt aber, er hat überhaupt nichts im Griff. Der Mensch versucht sich über die Natur zu stellen und wird überspült. Der Tod ist nur einen Schritt entfernt. So tragisch das klingen mag, darin liegt auch viel Humor und Leichtigkeit. Wagner selbst erkannte den Witz, den er zum Beispiel in der Figur des Daland vertont hatte. Er versuchte ihn nachträglich zu relativieren und bat darum, »diese Rolle ja nicht in das eigentlich Komische hinüberzuziehen«. Zugleich verehrte er in dieser Phase seines Lebens Gioachino Rossini und wollte mit Der Fliegende Holländer ein leichtes, italienisches Stück schreiben.
Herbert Fritsch Ständig rumzujammern und den Tod als etwas Schreckliches darzustellen, ist der erste Fehler. Wagner hat angesichts der schrecklichen Erlebnisse im Sturm die Lebenslust behalten und gezeigt, wie man daraus Freude und Witz entwickelt. Ich bin besonders von den operettenhaften Stellen im Stück fasziniert. Das ist extrem unterhaltsam, zum Beispiel wenn Daland seine Tochter verkauft und beim Anblick des Holländer-Schatzes im Walzer-Takt singt: »Kann ein Eidam willkommener sein?« Wagner wurde auch im Zuge einer zunehmend politischen Rezeption Schwere aufgebürdet. Der Genuss und Swing, die in der Musik drin stecken, gingen dadurch oft verloren. Beides hat übrigens viel mit Komik zu tun, denn Komik hat viel mit Musik gemeinsam. Bei beidem muss das Timing genau sitzen.
Sie haben gesagt, für Sie habe Der Fliegende Holländer viel mit Carmen zu tun. Was haben ihre zwei titelgebenden Figuren gemeinsam?
Herbert Fritsch Das Absolute. Das absolute Verlangen und das absolute Begehren. Carmen ist für mich der weibliche Holländer und der Holländer die männliche Carmen. Ob der Holländer auch Liebe fordert, kann diskutiert werden.
Dirk Kaftan Diese Anmaßung des Holländers, dieses Streben nach Absolutheit hat aber auch seine Schattenseiten. Der Holländer aus der überlieferten Sage hat als Schiffskapitän das Leben seiner Mannschaft auf’s Spiel gesetzt, um bei Sturm das Kap der guten Hoffnung, andere sagen Kap Horn, zu umsegeln. Er wird verdammt, weil er sich über die Natur, über die Schöpfung stellt.
Dirk Kaftan Ich habe die schwedische und norwegische Küste bei der Meeresenge Skagerrak selbst mit meinem Segelboot besucht. Der Eindruck der dortigen Fjorde und des Echos, das von den Felsenwänden widerhallt, der wilden Brandung und auch des Südwestwinds, der zehn Meter hohe Wellen aufbaut, ist überwältigend. Plötzlich wird die Anfangssituation der Oper nachvollziehbar: Der Steuermann singt davon, alles im Griff zu haben, man merkt aber, er hat überhaupt nichts im Griff. Der Mensch versucht sich über die Natur zu stellen und wird überspült. Der Tod ist nur einen Schritt entfernt. So tragisch das klingen mag, darin liegt auch viel Humor und Leichtigkeit. Wagner selbst erkannte den Witz, den er zum Beispiel in der Figur des Daland vertont hatte. Er versuchte ihn nachträglich zu relativieren und bat darum, »diese Rolle ja nicht in das eigentlich Komische hinüberzuziehen«. Zugleich verehrte er in dieser Phase seines Lebens Gioachino Rossini und wollte mit Der Fliegende Holländer ein leichtes, italienisches Stück schreiben.
Herbert Fritsch Ständig rumzujammern und den Tod als etwas Schreckliches darzustellen, ist der erste Fehler. Wagner hat angesichts der schrecklichen Erlebnisse im Sturm die Lebenslust behalten und gezeigt, wie man daraus Freude und Witz entwickelt. Ich bin besonders von den operettenhaften Stellen im Stück fasziniert. Das ist extrem unterhaltsam, zum Beispiel wenn Daland seine Tochter verkauft und beim Anblick des Holländer-Schatzes im Walzer-Takt singt: »Kann ein Eidam willkommener sein?« Wagner wurde auch im Zuge einer zunehmend politischen Rezeption Schwere aufgebürdet. Der Genuss und Swing, die in der Musik drin stecken, gingen dadurch oft verloren. Beides hat übrigens viel mit Komik zu tun, denn Komik hat viel mit Musik gemeinsam. Bei beidem muss das Timing genau sitzen.
Sie haben gesagt, für Sie habe Der Fliegende Holländer viel mit Carmen zu tun. Was haben ihre zwei titelgebenden Figuren gemeinsam?
Herbert Fritsch Das Absolute. Das absolute Verlangen und das absolute Begehren. Carmen ist für mich der weibliche Holländer und der Holländer die männliche Carmen. Ob der Holländer auch Liebe fordert, kann diskutiert werden.
Dirk Kaftan Diese Anmaßung des Holländers, dieses Streben nach Absolutheit hat aber auch seine Schattenseiten. Der Holländer aus der überlieferten Sage hat als Schiffskapitän das Leben seiner Mannschaft auf’s Spiel gesetzt, um bei Sturm das Kap der guten Hoffnung, andere sagen Kap Horn, zu umsegeln. Er wird verdammt, weil er sich über die Natur, über die Schöpfung stellt.
© Monika Rittershaus
Zeigt sich diese Ambivalenz des Charakters auch in der Musik?
Dirk Kaftan Und ob! Die Tonart bleibt unklar. Es könnte Dur oder Moll sein und das heißt, der Holländer ist, musikalisch gesehen, geschlechtslos. Das hat etwas Schicksalhaftes und etwas Unvollendetes. Das Leitmotiv des Holländers erzählt so in nur zwei Takten alles über diese Person. Wagner arbeitet in Der Fliegende Holländer erstmals mit der musikalischen Charakterisierung durch Leitmotive. Und dies auf eine ganz natürliche Art und Weise, die man als Zuschauer:in kaum spürt. Das Unvollendete sieht man auch an ganz anderer Stelle, nämlich den vielen Umarbeitungen, die Wagner an der Oper vorgenommen hat. Über dreißig Jahre später komponierte er Tristan und Isolde. Dann erst fügte er den Schluss der Ouvertüre, wie er in der uns vorliegenden Fassung vorkommt, in sein 1843 uraufgeführtes Frühwerk Der Fliegende Holländer ein. Dieser Schluss klingt wie aus einer anderen Welt. Er zeigt, dass es das, was der Holländer sucht – nämlich eins zu werden mit der Natur – in dieser Realität nicht gibt. Das ganze Stück ist also offen, wie es das Leitmotiv am Anfang verspricht.
Dirk Kaftan Und ob! Die Tonart bleibt unklar. Es könnte Dur oder Moll sein und das heißt, der Holländer ist, musikalisch gesehen, geschlechtslos. Das hat etwas Schicksalhaftes und etwas Unvollendetes. Das Leitmotiv des Holländers erzählt so in nur zwei Takten alles über diese Person. Wagner arbeitet in Der Fliegende Holländer erstmals mit der musikalischen Charakterisierung durch Leitmotive. Und dies auf eine ganz natürliche Art und Weise, die man als Zuschauer:in kaum spürt. Das Unvollendete sieht man auch an ganz anderer Stelle, nämlich den vielen Umarbeitungen, die Wagner an der Oper vorgenommen hat. Über dreißig Jahre später komponierte er Tristan und Isolde. Dann erst fügte er den Schluss der Ouvertüre, wie er in der uns vorliegenden Fassung vorkommt, in sein 1843 uraufgeführtes Frühwerk Der Fliegende Holländer ein. Dieser Schluss klingt wie aus einer anderen Welt. Er zeigt, dass es das, was der Holländer sucht – nämlich eins zu werden mit der Natur – in dieser Realität nicht gibt. Das ganze Stück ist also offen, wie es das Leitmotiv am Anfang verspricht.
Franz Liszt fragte in einem Brief an Wagner nach der Hauptfigur in Der Fliegende Holländer und meinte damit Senta oder den Holländer.
Herbert Fritsch Es ist immer schwierig herauszukriegen, wer die Hauptfigur in einem Stück ist. Das kann auch mal jemand sein, der nur einen einzigen Auftritt hat. Senta ist ein extremer Gegenpart zum Holländer. Sie ist frech, durchgedreht und wird vor dem Bild des Holländers, dass sie immer anguckt, irre. Sie wird nicht ernst genommen, aber weiß genau, was sie will. Zugleich ist die Konstellation kaum erklärbar. Das ist auch das Wunderbare daran. Und es geht nicht darum, dieses Rätsel, wie Liszt es anspricht, aufzudecken.
Dirk Kaftan Senta steht für eine ganz neue Art von Weiblichkeit. Sie wächst in einer bürgerlichen Umgebung auf, fällt aber komplett aus der Rolle, ist also in sich ebenfalls kein eindeutig lesbarer Charakter. Musikalisch zeigt sich das in ihrer Ballade, mit der sie einerseits das Schema der Nummernoper in Der Fliegende Holländer durchbricht und in eine epische Erzählform führt. Andererseits verlässt sie klischeehafte Geschlechterrollen, indem sie die musikalische Welt der Holländers betritt.
Ein großes und spielzeugähnliches Boot füllt die Bühne, die an ein Kinderzimmer erinnert. Welche Rolle spielt das Kindsein auf der Bühne?
Herbert Fritsch Der Mythos um Richard Wagner und seine Werke ist von gnadenlosem Ernst überfrachtet. Ich wollte den Wagner ins Kinderzimmer zurückholen. Die Geschichte des Holländers ist wie eine Kindergeschichte, wie ein Märchen. Und das Schiff hat mich an meine Kindheit erinnert. Da habe ich immer gerne aus Holz kleine Schiffchen geschnitzt, mit einem Stock als Mast und einem Blatt Papier als Segel. Genau so ein Spielzeug sollte auf der Bühne sein, damit die Sänger damit spielen können – auch wenn es nicht in jedes Kinderzimmer passt.
Herbert Fritsch Es ist immer schwierig herauszukriegen, wer die Hauptfigur in einem Stück ist. Das kann auch mal jemand sein, der nur einen einzigen Auftritt hat. Senta ist ein extremer Gegenpart zum Holländer. Sie ist frech, durchgedreht und wird vor dem Bild des Holländers, dass sie immer anguckt, irre. Sie wird nicht ernst genommen, aber weiß genau, was sie will. Zugleich ist die Konstellation kaum erklärbar. Das ist auch das Wunderbare daran. Und es geht nicht darum, dieses Rätsel, wie Liszt es anspricht, aufzudecken.
Dirk Kaftan Senta steht für eine ganz neue Art von Weiblichkeit. Sie wächst in einer bürgerlichen Umgebung auf, fällt aber komplett aus der Rolle, ist also in sich ebenfalls kein eindeutig lesbarer Charakter. Musikalisch zeigt sich das in ihrer Ballade, mit der sie einerseits das Schema der Nummernoper in Der Fliegende Holländer durchbricht und in eine epische Erzählform führt. Andererseits verlässt sie klischeehafte Geschlechterrollen, indem sie die musikalische Welt der Holländers betritt.
Ein großes und spielzeugähnliches Boot füllt die Bühne, die an ein Kinderzimmer erinnert. Welche Rolle spielt das Kindsein auf der Bühne?
Herbert Fritsch Der Mythos um Richard Wagner und seine Werke ist von gnadenlosem Ernst überfrachtet. Ich wollte den Wagner ins Kinderzimmer zurückholen. Die Geschichte des Holländers ist wie eine Kindergeschichte, wie ein Märchen. Und das Schiff hat mich an meine Kindheit erinnert. Da habe ich immer gerne aus Holz kleine Schiffchen geschnitzt, mit einem Stock als Mast und einem Blatt Papier als Segel. Genau so ein Spielzeug sollte auf der Bühne sein, damit die Sänger damit spielen können – auch wenn es nicht in jedes Kinderzimmer passt.
© Monika Rittershaus
Ist Richard Wagner also mit Der Fliegende Holländer der große Erneurer?
Dirk Kaftan Absolut, das Wesen von Der Fiegende Holländer ist, mit klassischen Mitteln eine neue Epoche anzureißen. Wagner kam zur Uraufführung nach Dresden und wurde vom Orchester regelrecht gesteinigt. In der Dresdner Hofkapellen-Tradition stand der Dirigent an der Bühnenkante mit dem Rücken zum Orchester und dirigierte die Sänger. Das Orchester wurde vom Konzertmeister geleitet. Wagner wollte das Tempo aber selber machen. Diese Subjektivität, den Vorstellungsabend spontan zu gestalten, war neu und es gibt wahrscheinlich keine bessere Anekdote, um zu erklären, wer Richard Wagner war.
Dirk Kaftan Absolut, das Wesen von Der Fiegende Holländer ist, mit klassischen Mitteln eine neue Epoche anzureißen. Wagner kam zur Uraufführung nach Dresden und wurde vom Orchester regelrecht gesteinigt. In der Dresdner Hofkapellen-Tradition stand der Dirigent an der Bühnenkante mit dem Rücken zum Orchester und dirigierte die Sänger. Das Orchester wurde vom Konzertmeister geleitet. Wagner wollte das Tempo aber selber machen. Diese Subjektivität, den Vorstellungsabend spontan zu gestalten, war neu und es gibt wahrscheinlich keine bessere Anekdote, um zu erklären, wer Richard Wagner war.
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Käpt'n Bierfass
Peter Laudenbach, Süddeutsche Zeitung
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