Zingzingzing zingbalabum oder: Offen­bachs Operetten­wahn­sinn

Mit der Operette Die schöne Helena erreichte Jaques Offenbach Weltruhm. Das lag nicht nur an der betörend selbstbewussten und revolutionären Frauenfigur der Helena, die als geistreich witzig und dennoch sexy weltweit die Opernbühnen für sich und damit das Publikum Ende des 19. Jahrhunderts einnahm. Sondern auch an dem gekonnt kunstfertigen Spiel aus Musik und Text, mit denen der Komponist spitzfindig soziale und moralische Normen parodiert – und mit einem antiken Mythos das Sittenbild seiner Zeit als Travestie (über)zeichnet. Die schöne Helena hat die Erfindung der Operette aus der Hand Offenbachs eine weltweiten Siegeszug bereitet, einem Musiktheater, das auf dem Boden von Not und Zensur gewachsen ist. Eine Einführung von Johanna Wall
Jacques Offenbach erfuhr früh, dass die Gründe, warum einem Menschen etwas gestattet oder verboten ist, nicht immer einfach nachzuvollziehen sind. Als Sohn eines jüdischen Kantors 1819 in bescheidene Verhältnisse in Köln geboren, wird sein musikalisches Talent früh entdeckt und gefördert. Doch sind die Entwicklungsmöglichkeiten für einen jüdischen Künstler im konservativen Köln, trotz inzwischen gelockerter Verordnungen, denkbar schlecht. Der Vater tut alles für eine gute Ausbildung des Sohnes, der eine herausragende Begabung für das Cello-Spiel zeigt, und möchte ihn an das renommierte Pariser Konservatorium vermitteln. In Paris spielt die Zugehörigkeit zum Judentum zwar keine besondere Rolle, doch nimmt das Pariser Konservatorium unter Luigi Cherubini grundsätzlich keine ausländischen Studenten an. Dass es Offenbach nichtsdestotrotz gelingt, einen Studienplatz zu ergattern, zeugt von seinem großen Talent, auch dem, vermeintlich sakrosankte Regeln einer Institution, sei es eine Akademie, sei es ein Staat, als genau das zu begreifen, was sie sind: Spielregeln, von Menschen gemacht und dazu da, sie zu beherrschen, um nicht von ihnen beherrscht zu werden. Offenbach war ein Spieler durch und durch: Im Glücksspiel gewann er regelmäßig große Summen, die er in Kürze wieder verschleuderte. Sein Patriotismus war ein pragmatisches Spiel: Als er während der Pariser Revolution 1848 nach Köln zurückkehrte, hielt er sich mit der Komposition patriotischer Liedchen über Wasser, auch wenn sein Herzblut nicht daran hing. Derlei »politisches Engagement« wird Offenbach zum Teil noch heute als »heuchlerisch« vorgeworfen. Warum aber sollte gerade er sich dem deutschen Land tief verbunden fühlen? Doch so sehr Paris Offenbach, der mit gerade einmal 14 Jahren Köln verlassen hatte, zur zweiten Heimat wurde – auch hier war der Weg zu Ruhm und Ehren steinig. Noch 1854 im Alter von 35 Jahren spielte Offenbach mit dem Gedanken, in die USA auszuwandern. Und selbst als sprühender Impresario der »Demi-Monde«, jener für das Zweite Kaiserreich so typischen, ebenso eleganten wie moralisch fragwürdigen bürgerlichen Kreise, blieb er bis zu einem gewissen Grad Außenseiter. Während des deutsch-französischen Krieges 1870/71 musste sich Offenbach nicht nur zahlreiche Anfeindungen gefallen lassen, sondern sowohl Frankreich als auch Deutschland zeitweise den Rücken kehren. Er wurde zum Weltbürger – wenn auch wider Willen –, und er machte das Beste daraus, wissend, dass alles vermeintlich unverrückbare, identitätsstiftende Regelwerk, sei es religiöser Glaube (aus Liebe zu seiner Frau und zum Leidwesen seiner Mutter konvertierte er zum Katholizismus, lebte aber auch seine jüdischen Traditionen weiter), sei es Nationalität, als Menschenwerk verrückbar ist. Der Ignoranz der allzu Selbstgewissen aber begegnete er mit der schärfsten Waffe, die ihm zu Gebote stand: mit bissigem Witz und schneidender Ironie.

Die Geburt der Operette aus der Klein­geis­terei

Die Gründe für Offenbachs gewundenen Weg vom Theater-Musiker zum Großmeister der Opéra bouffe finden sich nicht zuletzt in den restriktiven Pariser Theaterverordnungen, die bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts galten.

Im Zuge der Französischen Revolution schossen in Paris die Bühnen nur so aus dem Boden. Napoleon I. witterte in ihnen das Potential einer völlig unkontrollierbaren Öffentlichkeit und beschränkte die Anzahl der genehmigten Bühnen auf acht, wobei diese nur ein genau umrissenes, stark beschränktes Repertoire spielen durften. Zwar wurden die Regelungen nach Napoleons Sturz entschärft und zahlreiche neue Theater gegründet, doch blieb das Privilegiensystem zunächst bestehen. Die Chancen, sich in diesem beengten Theaterapparat als aufstrebender Komponist eine Stellung zu ergattern, waren äußerst gering. Es gab einfach zu wenige Aufführungsmöglichkeiten für zu viele Künstler.
Die von Offenbach und seinem Kollegen und Konkurrenten Hervé aus der Taufe gehobene neue Musiktheatergattung der Operette ist demnach nicht zuletzt den strengen rechtlichen Gegebenheiten im Paris des Second Empire zu »verdanken«.

Operette nannte man ursprünglich schlicht kurze, unterhaltsame Musiktheaterwerke. Und für die Aufführung eben solcher Werke erhielt Offenbach 1855 die Genehmigung, als er anlässlich der Pariser Weltausstellung kurzerhand sein erstes eigenes Theater gründete. Dem Haupteingang des Ausstellungsgeländes genau gegenüber gelegen, waren Lage und Zeitpunkt geschickt gewählt. Offenbach erhoffte sich die Aufmerksamkeit nicht nur der Pariser Bürger, sondern eines internationalen, wohlsituierten und unterhaltungswilligen Messepublikums. Die Rechnung ging auf. Die Konzession seines Theaters war, wie erwähnt, stark eingeschränkt: Harlekinaden und Komödien in Wort und Musik mit nicht mehr als vier Personen sowie Pantomimen mit bis zu fünf Personen, dann aber ohne gesungene Musik – und natürlich ohne Dialoge, durften dargeboten werden. Der Einsatz eines Chores musste von ministerieller Stelle genehmigt werden.

Das Erfolgsrezept

Offenbach eröffnete die »Bouffes Parisiens« – so der Name des kleinen Hauses, das zuvor von einem Zauberkünstler bespielt worden war – mit einer Reihe von Einaktern, wobei das Zweipersonenstück Les Deux Aveugles (Die beiden Blinden) das Publikum regelrecht aus den Sitzen riss. Zwei (vermeintlich) blinde Bettler streiten sich darin auf einer Brücke um den besten Bettelplatz und das mit all jenen Mitteln, die der frühe Haifischkapitalismus des Second Empire gerade kennenlernte. Das Publikum lachte weniger über das tumbe niedere Volk, als vielmehr über sich selbst, wenn auch in der Verkleidung zweier Bettler. Die sich schon hier andeutungsweise zeigende Form der »verkleideten« Sozialsatire – »Travestie« im wortwörtlichen Sinne, gepaart mit ebenso eingängigen wie pointierten Gesangsnummern und einer bis ins Absurde gehenden Komik, die direkt aus dem »Folie-Vaudeville« stammte, einer Volkstheaterform, deren Humor von hanebüchen bis grotesk reichte – versetzt mit einem ordentlichen Schuss Erotik, das war das Erfolgsrezept, mit dem Offenbach, Komponist, Regisseur und Impresario in einem, allnächtlich sein Theater zum Brodeln brachte. Das Publikum gehörte den bürgerlichen und gehobenen Schichten an, die Bühnenkünstler standen ihnen auf und auch hinter der Bühne mit ihren Reizen zur Verfügung. Zentraler Anziehungspunkt des Hauses war die aus Straßburg stammende Hortense Schneider (1833-1920) – später nurmehr als »La Snédère« bekannt.
Zu einem Gesamt­kunst­werk im harmo­ni­schen Geiste ver­mögen Aktion und Gesang in der Operette zu ver­schmel­zen, welche eine Welt als ge­geben nimmt, in der sich der Un­sinn von selbst versteht und in der er nie die Re­aktion der Ver­nunft heraus­fordert.
Karl Kraus

Der Aufstieg zum Olymp

Drei Jahre nach der Eröffnung der Bouffes erhält Offenbach 1858 erstmals die Erlaubnis zur Aufführung eines mehraktigen Werks mit großem Chor und entschieden mehr als vier Personen auf der Bühne. Der Meister schickt gleich den gesamten Olymp auf die Bühnenbretter: Mit Orphée aux enfers (Orpheus in der Unterwelt) präsentiert Offenbach seine erste Antiken-Travestie, in der, in der Verkleidung antiker Götter, eben die Gesellschaft karikiert wird, die im Publikum sitzt. Und dieses Publikum ist hingerissen! In den ersten drei Jahren wird Orpheus allein in Paris über 1.000-mal aufgeführt.

Im Jahr der Uraufführung beginnt auch die Offenbach-Rezeption im Ausland, besonders in Wien. Fast alle deutschsprachigen Erstaufführungen der Werke Offenbachs finden am dortigen Carl-Theater statt. Häufig steht der Komponist dabei persönlich am Dirigentenpult. Nachdem Offenbach 1859 wegen seiner rheumatischen Leiden erstmals ins mondäne Bad Ems an der Lahn reist, entwickelt sich auch dieser Ort zu einer wichtigen Wirkungsstätte des Komponisten, der hier zahlreiche seiner Werke selbst uraufführt. In Deutschland werden insbesondere Hamburg und Berlin zu wichtigen Offenbach-Städten. Das Friedrich-Wilhelmstädtische Theater (heute ist hier das Deutsche Theater beheimatet) wird bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges 1870 zu Offenbachs wichtigstem deutschen Erstaufführungstheater. Auch hier dirigiert er vielfach selbst. Offenbach, der anders als viele seiner französischen Kollegen nicht ausschließlich Paris als Gradmesser seines Erfolgs annahm, wird in der Hochzeit der europäischen Nationalstaatenbewegung zum Weltstar.

Geplatzte Träume und neue Ideen

Neben seinem großen Erfolg im quasi aus Not und Zufall erfundenen neuen Musiktheatergenre versucht sich Offenbach weiterhin auch an den großen Theaterhäusern zu etablieren. 1860, das Jahr, in dem ihm die französische Staatsbürgerschaft verliehen wird, debütiert er sowohl an der Opéra als auch an der Opéra comique, wenn auch mit wenig Erfolg. Seine große romantische Oper Die Rheinnixen wird 1864 nicht in Paris, sondern an der Wiener Hofoper uraufgeführt – anstelle von Wagners Tristan! (Wagner sollte das Offenbach nie verzeihen.) Doch auch hier bleibt es bei einem Achtungserfolg.
Als 1864 das Privilegiensystem der französischen Bühnen abgeschafft wird und nunmehr alle Genres uneingeschränkt an allen Theatern dargeboten werden dürfen, schmiedet Offenbach Pläne für ein neues Werk, das an den Erfolg des Orpheus anknüpfen soll. Die Ideen, die er mit seinem Lieblingslibrettisten, Ludovic Halévy, wälzt, reichen von einer Tannhäuser-Parodie bis zum Fragment gebliebenen Einfall, Homer als Reporter der New York Times auftreten zu lassen. Schließlich entscheiden sich Komponist und Librettist für eine weitere »operette antique«: Der Raub der Helena durch Paris, der in Gestalt eines Hirten Venus mit einem Apfel zur schönsten aller Göttinnen gekürt und zum Lohn von ihr die schönste (sterbliche) Frau der Welt versprochen bekommen hat: Helena. Da diese bereits mit dem Spartanerkönig Menelaus verheiratet ist, muss Paris die nicht besonders Widerwillige mit Venus’ Hilfe kurzerhand entführen – und entfacht so, quasi aus Versehen, den Trojanischen Krieg. Offenbach verändert den Mythos nur geringfügig, doch holt er – wie schon in Orpheus in der Unterwelt – die hehren Helden und Götterfiguren auf den Boden der Tatsachen beziehungsweise des bürgerlichen Lebens. Einzigartig ist die Figur der Helena, in der Uraufführung von der bereits 32-jährigen, weder besonders schönen noch besonders gut singenden (noch besonders schlanken!) Hortense Schneider dargeboten, die allein aufgrund ihrer phänomenalen Ausstrahlung, schauspielerischen Begabung und der Tatsache, dass sie außer einem Hauch von Gaze nicht allzu viel am Leibe trug, das Publikum vor Erregung zum Kochen brachte. Das Frauenbild, das hier präsentiert wurde, war revolutionär – und ist es bis heute! Denn Helena ist nicht nur starke Heroine und selbstbewusste Frau, die ihren sexuellen Wünschen unverblümt Ausdruck verleiht, sie ist auch witzig und sexy! »Die Frau, die man für diese Rolle besetzt, wird man immer bezahlen müssen, und zwar gut«, so Offenbach ebenso respektvoll wie zähneknirschend in einem Brief an Halévy. Erst Offenbachs Schwiegersohn George Bizet sollte mit seiner Carmen eine würdige Nachfolgerin auf die Bretter, die die Welt bedeuten, schicken.

Ab durch die Mitte mit der schönsten Frau der Welt

Auch wenn Offenbachs La Belle Hélène (Die schöne Helena) schon bei der Uraufführung am 17. Dezember 1864 am Théâtre des Variétés ein großer Erfolg war, änderte er nach der Premiere noch zahlreiche Passagen.

Schon im Vorfeld zwang die Zensurbehörde ihn zu Modifikationen. Ursprünglich sollte sich Oberpriester Kalchas – eine bissige Karikatur auf den korrupten und schmierigen Klerus – am Ende des Dritten Akts gleich mit auf die Liebesinsel Kythere einschiffen. Diese Insel war spätestens seit dem 18. Jahrhundert in Paris ein stehender Begriff für einen Ort sorg- und zügelloser erotischer Vergnügungen. Kalchas wird in der frühen Fassung jedoch von Helena und Paris über Bord geschubst, kehrt nach Sparta zurück und hetzt wegen seiner herben Abfuhr das Volk zum Trojanischen Krieg auf. Dieses allzu kirchenfeindliche Ende musste noch vor der Premiere komplett umgeschrieben werden. Auch allzu eindeutige Anspielungen auf die Gattin des österreichischen Botschafters, Pauline Metternich, fielen der Zensur zum Opfer.

Die von Offenbach nach der Premiere vorgenommenen Änderungen fanden aus rein wirkungstechnischen Erwägungen statt. Weil er festgestellt hatte, dass der Zweite Akt nicht dieselbe Wirkung wie die anderen beiden Akte erzielte, setzte der Theaterpraktiker Offenbach gnadenlos die Schere an. Unmittelbar nach diesem letzten Schliff trat Die schöne Helena ihren Siegeszug um die ganze Welt an. In den ersten vier Monaten wurde das Werk allein in Paris 100-mal aufgeführt, bis 1869 über 350-mal. Die deutschsprachige Erstaufführung erfolgte am 17. März am Theater an der Wien, die deutsche am 13. Mai 1865 im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin. Bis zum Ausbruch des deutsch-französischen Krieges, der eine Unterbrechung, wenn auch keinen Abbruch der Erfolgsgeschichte bedeutete, wurde das Werk in Berlin, Prag, Stockholm, Graz, Brüssel, Helsinki, Kopenhagen, London, Konstantinopel, Mailand, Sankt Petersburg, New York, Cincinnati, Basel, Neapel, Warschau, Madrid, Lissabon, Kairo und vielen anderen Orten aufgeführt. 1876 erfolgte die australische Erstaufführung in Sydney. Der Weltbürger Offenbach hatte es zu Weltruhm gebracht. In Nordamerika wurden seine Werke ebenso gespielt wie in Afrika, in Australien ebenso wie in Skandinavien und Russland.

Abtrünnige Söhne

Offenbach gilt als Vater der Operette, und tatsächlich war er es, der zehn Jahre nach der Uraufführung der Schönen Helena Johann Strauss dazu ermutigte, sich weiter in diesem Genre zu engagieren. Die Fledermaus, Höhepunkt der Wiener Operette und eines der Werke, das man in direkter Tradition Offenbachs sehen kann, wäre ohne diesen Zuspruch möglicherweise nie entstanden.

Bald schon aber wurde aus der ursprünglich sozialkritischen Haltung der Operette eine mild-affirmative gegenüber Obrigkeit und althergebrachten Normen. Die Operette hatte ihre Spitze schon wenige Jahre nach ihrer Entstehung verloren. Das ging so weit, dass Karl Kraus, einer der brennendsten Verehrer Offenbachs, für dessen Werke einen eigenen Begriff erfand, um sie von anderen harmlosen Produkten des Genres klar abzugrenzen: die Offenbachiade. Es sollte bis in die 1920er Jahre dauern, ehe Emmerich Kálmán und Paul Abraham wieder ähnlich spritzige Texte und selbstbewusste Frauenfiguren auf die Bühne brachten, wie es Offenbach schon am Anfang der Operettengeschichte gelungen war.

Kritik jenseits von Sinn und Verstand

Allein aus Offenbachs Fähigkeit, das satirische Abbild einer bestimmten gesellschaftlichen Schicht zu einer bestimmten Zeit trefflich zu zeichnen, lässt sich seine bis heute andauernde Popularität allerdings nicht erklären. An der spezifischen Bissigkeit der Offenbachschen Operetten trägt im Übrigen nicht zuletzt Offenbachs kongenialer und politisch weitaus klarer positionierter Librettist Ludovic Halévy einen wesentlichen Anteil. Was Offenbachs Œuvre so gegen die Masse anderer Operettenkomponisten abhebt, ist das kunstfertig für seine Zwecke genutzte Verhältnis zwischen Text und Musik. Offenbach gelingt es mit seinen »Kunstgriffen, an Gemeinplätzen die Absurdität hervortreten zu lassen, die immer schon in ihnen verborgen war«, wie es der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus ausdrückt.

Legitime Erben

Ein probates Mittel musikalischer Komik besteht im übermäßigen Wiederholen und Dehnen musikalischer Formen – eines viel zu lange ausgehaltenen hohen Tons, einer sich bis an den Rand des Erträglichen wiederholenden Koloratur. Mit dem Mittel der Repetition wird nicht zuletzt die unausgesprochene Abmachung zwischen Bühne und Publikum, nach der ein Musiktheaterwerk behauptet, Realität abzubilden, bis an die Grenzen gedehnt. In Die schöne Helena sind wir allerdings jenseits der schlichten Parodie am Abgrund der Absurdität angelangt, wenn im Finale des Zweiten Aktes die griechischen Könige auf die Frage, wie Menelaus angesichts des offensichtlichen Ehebruchs seiner Gattin Helena denn bitteschön seine Ehre retten solle, keinerlei Antwort parat haben und mit einem herzhaften »Bing« im wahrsten Sinne des Wortes »austicken«. Was jetzt folgt, klingt wie ein Lautgedicht des Dadaisten Hugo Ball: Drei Seiten lang geht es: »bingbingbing …« »tararatatatatata …« »zingzingzingzingbalabum«, bis die onomatopoetische Lautansammlung in einem völlig außer Rand und Band geratenen kollektiven Triller kulminiert.
Offenbachs Œuvre weist weit über den Realismus und Naturalismus des 19. Jahrhundert hinaus. Seine Methode des musikalischen Wort- und Sprachspiels ist die gleiche, mit der die Surrealisten und Dadaisten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die lange Zeit unhinterfragt akzeptierten ästhetischen, sozialen und moralischen Normen auf den Kopf stellten und so lange durchschüttelten, bis am Ende nur noch Wort- und Bildgerassel herausfiel. So wie Hannah Höch oder John Heartfield in ihren Collagen mit Abziehbildern und vorgefertigten Versatzstücken, Abbilder der »realen« Welt, neue absurde Welten und Figuren kreierten, bedient sich Offenbach in seiner Musik hemmungslos der zur Konvention erstarrten Phrasen der Grand opéra. Die Parodie, die Travestie eines Offenbach ist auch im Text verborgen, mehr noch aber im Rhythmus, in dem dieser Text, sei es der gesprochene oder der musikalische, die nachgeplapperten Selbstverständlichkeiten musikalischer und gesellschaftlicher Normen aufs Korn nimmt. Auch wenn die politischen Verhältnisse der Gegenwart mit denen des Second Empire nicht unmittelbar vergleichbar sind – Offenbachs Witz trifft gerade da ins Schwarze, wo er nicht den Inhalt vermeintlich selbstverständlicher Werte zum Ziel hat, sondern den Glauben an die universelle Selbstverständlichkeit gesellschaftlicher Normen an sich und überhaupt.
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