© Jaro Suffner
Den Toten eine Stimme geben
Anders, als es sich vermuten lässt, erzählt Das Floß der Medusa keinen Mythos. Das Oratorium von Hans Werner Henze taucht ein in die Geschichte der Kämpfe um Kolonien und ihrer Opfer zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Uraufführung des opulenten Werks Neuer Musik ging allerdings in Tumulten unter und musste abgebrochen werden. Warum das Oratorium 1968 ein Skandal war, was Dante damit zu tun und welche Rolle ein Gemälde spielt – das Wichtigste in Kürze...
Das Floß der Medusa ist ein Oratorium (Oratorio vulgare e militare) in zwei Teilen für drei Solist:innen, gemischten Chor, Knabenchor und Orchester. Das Libretto dazu schrieb Ernst Schnabel, den eine langjährige Zusammenarbeit mit Hans Werner Henze verband.
Das Stück basiert auf einem historischen Ereignis: der Havarie einer französischen Fregatte namens Méduse vor der Küste Senegals im Jahr 1816. Bei dieser retteten sich die Offiziere und Generäle auf die verfügbaren Rettungsboote, die übrigen Passagiere wurden aber ihrem Schicksal auf einem notdürftig zusammengezimmerten Floß überlassen, auf dem die meisten den Tod fanden.
Das Stück basiert auf einem historischen Ereignis: der Havarie einer französischen Fregatte namens Méduse vor der Küste Senegals im Jahr 1816. Bei dieser retteten sich die Offiziere und Generäle auf die verfügbaren Rettungsboote, die übrigen Passagiere wurden aber ihrem Schicksal auf einem notdürftig zusammengezimmerten Floß überlassen, auf dem die meisten den Tod fanden.
Kampf um die Kolonie Westafrika
Die Expedition der Méduse hatte den Zweck, das kolonisierte Westafrika den Engländern zu entreißen und ein französisches Regime unter den Bourbonen zu errichten. Die Inkompetenz des Schiffskapitäns, die schlecht durchgeführte Rettungsaktion und die unzureichende Aufarbeitung lösten einen Skandal aus, der dem Ansehen der gerade restaurierten Bourbonenherrschaft schwer schadete.
Als Vorlage für das Oratorium diente der Bericht zweier Überlebender: des Landvermessers Alexandre Corréard und des Wundarztes Henri Savigny von 1818. Nur wenige Exemplare des Berichts überlebten das umgehende Verbot der französischen Zensur.
Der Maler Théodore Géricault ließ sich von dieser Begebenheit 1819 zum Gemälde Le Radeau de La Méduse (1819) inspirieren, das er beim Pariser Salon ausstellte. Dabei orientierte er sich erstmals in der Geschichte des Salons nicht an mythischen oder heiteren Stoffen, sondern schuf ein Bild, das die Bourbonenherrschaft scharf in die Kritik nahm und als Vorbote der Julirevolution von 1830 gedeutet werden kann.
Als Vorlage für das Oratorium diente der Bericht zweier Überlebender: des Landvermessers Alexandre Corréard und des Wundarztes Henri Savigny von 1818. Nur wenige Exemplare des Berichts überlebten das umgehende Verbot der französischen Zensur.
Der Maler Théodore Géricault ließ sich von dieser Begebenheit 1819 zum Gemälde Le Radeau de La Méduse (1819) inspirieren, das er beim Pariser Salon ausstellte. Dabei orientierte er sich erstmals in der Geschichte des Salons nicht an mythischen oder heiteren Stoffen, sondern schuf ein Bild, das die Bourbonenherrschaft scharf in die Kritik nahm und als Vorbote der Julirevolution von 1830 gedeutet werden kann.
© Jaro Suffner
Tumult auf der Uraufführung
Ernst Schnabel verlieh den Toten im Oratorium eine Stimme und bediente sich dafür an Passagen aus Dante Alighieris Göttlicher Komödie. Er folgt der Dramaturgie Dantes vom Inferno zum Purgatorio, um schließlich zum Paradiso zu gelangen.
Henze widmete sein Werk Che Guevara, der ein Jahr vor der Uraufführung in Bolivien erschossen worden war. Im Zuge der Studentenbewegung von 1968 sprach Henze von seiner »politischen Bewusstwerdung«. Er beherbergte nicht nur den Wortführer der Bewegung, Rudi Dutschke, in seiner Villa bei Rom, nachdem dieser bei einem rechtsextremen Attentat schwer verletzt wurde, sondern beteiligte sich auch am Berliner Kongress gegen den Vietnamkrieg und nahm an der Demonstration des 18. Februars 1968 teil.
Das Oratorium, ein Auftragswerk des NDR, sollte am 9. Dezember 1968 in Hamburg uraufgeführt und im Radio übertragen werden. Ein Tumult entzündete sich an einem am Konzertpult befestigten Che-Guevara-Poster und einer roten Fahne. Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studen- tenbundes, des Publikums und des RIAS-Kammerchors gerieten in eine handfeste Auseinandersetzung, die durch einen überraschenden Polizeieinsatz beendet wurde. Es wurde lediglich die Aufnahme der Generalprobe ausgestrahlt.
Henze widmete sein Werk Che Guevara, der ein Jahr vor der Uraufführung in Bolivien erschossen worden war. Im Zuge der Studentenbewegung von 1968 sprach Henze von seiner »politischen Bewusstwerdung«. Er beherbergte nicht nur den Wortführer der Bewegung, Rudi Dutschke, in seiner Villa bei Rom, nachdem dieser bei einem rechtsextremen Attentat schwer verletzt wurde, sondern beteiligte sich auch am Berliner Kongress gegen den Vietnamkrieg und nahm an der Demonstration des 18. Februars 1968 teil.
Das Oratorium, ein Auftragswerk des NDR, sollte am 9. Dezember 1968 in Hamburg uraufgeführt und im Radio übertragen werden. Ein Tumult entzündete sich an einem am Konzertpult befestigten Che-Guevara-Poster und einer roten Fahne. Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studen- tenbundes, des Publikums und des RIAS-Kammerchors gerieten in eine handfeste Auseinandersetzung, die durch einen überraschenden Polizeieinsatz beendet wurde. Es wurde lediglich die Aufnahme der Generalprobe ausgestrahlt.
© Jaro Suffner
Die einzige Regieanweisung des Stücks stammt von Henze und sieht einen Wechsel der Lebenden von einer Bühnenseite auf die andere, auf die Seite der Toten vor.
Henze setzte in Das Floß der Medusa zwar die Zwölftontechnik ein, empfand die systematische Dodekaphonie, wie sie in Kreisen der Neuen Musik betrieben wurde, aber als Dogma. Stattdessen bemühte er sich, die Kompositionsmittel in den Dienst des Ausdrucks zu stellen.
Ein immenser Orchesterapparat ist nebst Solist:innen und dem umfang- reichen Chor der dritte Mitspieler: Mit drei- bis vierfachen Holzbläsern und vierfachen Blechbläsern, zwei Saxophonen, einer Ophikleide und zwei Wagnertuben, dazu zwei Harfen, Klavier, elektrischer Orgel und zwei E-Gitarren, einem umfangreichen Schlagzeug und natürlich Streichern nutzt Henze ein opulentes Instrumentarium. Die Streichinstrumente sind inhaltlich den Toten zugeordnet, die Bläser den Lebenden.
Den Schlussworten Charons »Die Überlebenden aber kehrten in die Welt zurück, belehrt von Wirklichkeit, fiebernd, sie umzustürzen.« liegt der Rhythmus des Schlachtrufs »Ho-Ho-Ho Chi Minh« zugrunde.
Henze setzte in Das Floß der Medusa zwar die Zwölftontechnik ein, empfand die systematische Dodekaphonie, wie sie in Kreisen der Neuen Musik betrieben wurde, aber als Dogma. Stattdessen bemühte er sich, die Kompositionsmittel in den Dienst des Ausdrucks zu stellen.
Ein immenser Orchesterapparat ist nebst Solist:innen und dem umfang- reichen Chor der dritte Mitspieler: Mit drei- bis vierfachen Holzbläsern und vierfachen Blechbläsern, zwei Saxophonen, einer Ophikleide und zwei Wagnertuben, dazu zwei Harfen, Klavier, elektrischer Orgel und zwei E-Gitarren, einem umfangreichen Schlagzeug und natürlich Streichern nutzt Henze ein opulentes Instrumentarium. Die Streichinstrumente sind inhaltlich den Toten zugeordnet, die Bläser den Lebenden.
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… Titus Engel leitet das Riesenorchester der Komischen Oper mit beweglichem, exotisch bestücktem Schlagwerk beeindruckend souverän, höchst expressiv und sogar transparent.
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